Pressemitteilung vom 03.03.2023

Tunesien: Rassismus und Verhaftungswelle bedrohen gesellschaftlichen Zusammenhalt

Anlässlich der nationalistisch-chauvinistischen Äußerungen des Präsidenten und der anhaltenden Verhaftungswelle in diesen Tagen erklärt Tobias B. Bacherle, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss:

Wir kritisieren die rassistischen und hasserfüllten Äußerungen von Präsident Kais Saied gegen Personen aus Subsahara-Afrika in Tunesien scharf. Sie haben zu massiven Übergriffen auf Schwarze Menschen und Migrant*innen geführt und gefährden den gesellschaftlichen Zusammenhalt - aufgrund der massiven Angriffe haben jetzt Guinea und die Elfenbeinküste Bürger*innen aus Tunesien zurückgeholt. Es ist höchst problematisch, dass die tunesische Regierung die scharfe Kritik der Afrikanischen Union sowie tunesischer Oppositionsparteien und wachsender zivilgesellschaftlicher Gruppen an der rassistischen Rhetorik weiter ignoriert.

Dass Saied sich nun rassistische Narrative zu eigen macht, die stark an weltweit verbreitete rechtsextreme Verschwörungstheorien beispielsweise eines geplanten Bevölkerungsaustauschs erinnern, ist eine extrem besorgniserregende Entwicklung. Das jüngste Engagement von Staaten wie Italien, deren Regierungsvertretende in Nordafrika für die "Bekämpfung" von Migration mobilisieren und im eigenen Land mit ähnlichen Narrativen erfolgreich im Wahlkampf aufgefallen waren, haben dieser Entwicklung sicherlich Vorschub geleistet.

Während des Treffens in dieser Woche mit den arabischen Innenministern hat Tunesiens Innenminister Taoufik Charaffedine die chauvinistisch-nationalistischen Parolen des Präsidenten nicht nur verteidigt, sondern auch aktiv um Unterstützung bei seinen Amtskolleg*innen geworben.

Darüber hinaus verurteilen wir die seit mehreren Tagen anhaltende politisch motivierte Verhaftungswelle von herausragenden Persönlichkeiten aus Politik, Medien und Zivilgesellschaft. Unliebsame Kritiker*innen des zunehmend autoritären Regimes des Präsidenten Kais Saied werden mit Vorwürfen ohne das Recht auf einen fairen Prozess inhaftiert und politisch unschädlich gemacht. Mit großer Bestürzung beobachten wir, dass das Regime jetzt sogar Richter*innen, die sich in ihren Urteilen gegen die Verhaftungen ausgesprochen haben, nun offen mit Konsequenz droht, sollten sie weiterhin als politisch unpassend gesehene Urteile fällen. Wir fordern die Freilassung von willkürlich Inhaftierten, darunter die Aktivistin und Dichterin Chaima Issa und der Chefredakteur Nourredine Boutar.

Mit diesen Äußerungen und Maßnahmen verabschiedet sich Saied von einem friedlichen und demokratischen Weg. So bedroht er auch endgültig die hart erkämpften demokratischen und rechtsstaatlichen Errungenschaften des arabischen Frühlings in Tunesien.

Anlässlich dieser Entwicklungen stehen wir in voller Solidarität mit den mutigen Menschen, die in immer größeren Zahlen in Tunesien auf die Straße gehen. Auch viele, die zunächst an die guten Absichten des Präsidenten geglaubt hatten, sind zunehmend frustriert. Im stärker werdenden Widerstand der Zivilgesellschaft und der Bildung einer breiten Allianz gegen Chauvinismus und Nationalismus und die Verhaftungswelle sehen wir einen Hoffnungsschimmer zur Verteidigung der Fundamente einer tunesischen Demokratie.