Reform Sanktionenrecht

Mehr Resozialisierung und mehr Fokus auf Hasskriminalität

Stärkung von Prävention und Resozialisierung, verstärkter Kampf gegen Hasskriminalität: Das Sanktionenrecht in Deutschland soll überarbeitet werden. picture alliance / dpa
23.06.2023
  • Das Recht der strafrechtlichen Sanktionen wurde mit dem Ziel der Prävention und der Resozialisierung überarbeitet. Hierauf hat sich die Ampel im Koalitionsvertrag verständigt.
  • Am 22. Juni 2023 hat der Bundestag das Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts verabschiedet.
  • Das Gesetz enthält Änderungen bei der Ersatzfreiheitsstrafe, Regelungen zur Strafzumessung, zur Hasskriminalität und zum Maßregelvollzug. 

Strafrechtliche Sanktionen greifen tief in die Grundrechte der Betroffenen ein. Ziel der Sanktion sollte es deswegen zuvörderst sein, dass der oder die Verurteilte den Weg zurück in die Gesellschaft findet und nicht erneut straffällig wird. Daher hat die Ampel im Koalitionsvertrag vereinbart, das Sanktionensystem entsprechend zu überarbeiten und die Bundesregierung einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt.

Im parlamentarischen Verfahren konnten wir an diesem Gesetzentwurf noch wichtige Verbesserungen durchsetzen. Mit der Ampel haben wir uns zudem auf weitere Änderungen im Strafrecht für die zweite Jahreshälfte geeinigt. So wurde eine Überprüfung des materiellen Strafrechts, wie zum Beispiel der Strafbarkeit des Fahrens ohne Fahrschein vereinbart. Auch das Strafbefehlsverfahren kommt auf den Prüfstand.

Reform der Ersatzfreiheitsstrafe

Das Gesetz sieht erstens eine Reform der Ersatzfreiheitsstrafe vor. Verurteilte, die die ihnen auferlegte Geldstrafe nicht zahlen, müssen nach bisheriger Rechtslage pro Tagessatz einen Tag Freiheitsstrafe verbüßen. Vom Inkrafttreten des Gesetzes an wird ein Tag Freiheitsstrafe zwei Tagessätze tilgen.

Dadurch sinken die Kosten, die den Ländern durch die Unterbringung in den Justizvollzugsanstalten entstehen. Es blieb jedoch das Problem, dass die Ersatzfreiheitsstrafe bisher Menschen benachteiligt, die ihre Geldstrafe armutsbedingt nicht zahlen können. Eine Ersatzfreiheitsstrafe bedeutet – unabhängig von ihrer Dauer – eine Stigmatisierung und führt bei den Betroffenen häufig zu einem so genannten Inhaftierungsschock. 

Unser Ziel ist es sicherzustellen, dass nur Menschen, die ihre Geldstrafe nicht zahlen wollen, eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen müssen. Die Tagessatzhöhe muss – insbesondere bei Menschen mit sehr geringem Einkommen – ihre tatsächliche finanzielle Leistungsfähigkeit widerspiegeln, damit sie überhaupt die Möglichkeit haben, die Geldstrafe zu bezahlen. Aus unserer Sicht ist deshalb die Beachtung des beizubehaltenden Existenzminimums unerlässlich. Es war ein wichtiger Schritt, dass im parlamentarischen Verfahren in die Bemessungsvorschriften des Strafgesetzbuchs aufgenommen werden konnte, dass Täter*innen bei der Bemessung der Tagessatzhöhe immer mindestens das zum Leben unerlässliche Minimum des Einkommens verbleiben muss. Durch die Verhängung einer für die angeklagte Person tatsächlich zahlbaren Geldstrafe kann vermieden werden, dass es überhaupt zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe kommen muss.

Über die beschlossenen Änderungen hinaus, setzen wir uns weiter für eine Verbesserung des Strafbefehlsverfahrens ein. Nach momentaner Gesetzeslage besteht die Möglichkeit, dass nach einer durch Strafbefehl verhängten Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe angetreten werden muss, ohne dass zuvor eine richterliche Anhörung erfolgt. Die Ampel hat vereinbart, dass überprüft wird, wie verhindert werden kann, dass durch Strafbefehl verhängte Geldstrafen de facto automatisch zu einer Ersatzfreiheitsstrafe führen können.

Es wurde außerdem vereinbart, dass darüber beraten werden wird, ob die Berechnungsgrundlage der Tagessatzhöhe im Strafbefehl angegeben werden sollte. Aus unserer Sicht erhöht das die Transparenz des Strafbefehlsverfahrens. Denn es kann auch nur gegen die Höhe der Tagessätze Einspruch eingelegt werden. Diese Option erschließt sich wesentlich leichter, wenn die Berechnungsgrundlage – in der Regel ein vom Gericht angenommenes Nettoeinkommen – für die Betroffenen erkennbar ist.

Wirkungsvollere Verfolgung von Hasskriminalität

Zweiter wichtiger Bereich: Die Regel der Strafzumessung wird so ergänzt, dass auch „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive mitzuberücksichtigen sind. Diese Regelung gilt bereits für rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende Motive.

Damit rücken wir Formen der Hasskriminalität mit in den Fokus, die lange ignoriert oder bagatellisiert wurden: Frauenfeindlichkeit, Transsexuellen- und Intersexuellenfeindlichkeit beziehungsweise Homosexuellenfeindlichkeit. Diese Taten richten sich nicht nur auf ein bestimmtes Verhalten der Opfer, sondern auf ihre gesamte Existenz und Identität. Denn Hasskriminalität zielt nicht nur gegen die Menschen als Individuen, sondern insbesondere darauf, ganze Bevölkerungsgruppen einzuschüchtern und sie in ihrer Freiheit, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, einzuschränken. Dem trägt die Ergänzung Rechnung. Auch bei Sexualdelikten oder bei Femiziden wird die neue Regelung eine große praktische Bedeutung haben.

Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Hassverbrechen zu verhindern. Aber neben der Prävention kommt auch der wirksamen Strafverfolgung von Hasskriminalität eine besondere gesellschaftliche Bedeutung zu. Hassverbrechen müssen konsequenter ermittelt und zur Anklage gebracht werden. Um dies wirksam zu gewährleisten, ist diese Klarstellung notwendig, die es Polizei und Justiz in der Praxis erleichtern wird, geschlechtsspezifische oder gegen die sexuelle Orientierung gerichtete Hasskriminalität zu erkennen und diese Erkenntnisse in der Ermittlungsarbeit beziehungsweise in der strafrechtlichen Bewertung der Taten angemessen zu berücksichtigen.

Maßregel- und Justizvollzug

Der dritte große Bereich ist der Maßregelvollzug nach § 64 Strafgesetzbuch. Personen, die eine Tat im Rausch begehen oder deren Tat auf eine Suchterkrankung zurückgeht, werden unter bestimmten Voraussetzungen in einer Entziehungsanstalt statt in einer Justizvollzugsanstalt untergebracht. Durch die Gesetzesänderung werden die Anforderungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt erhöht, um so den Maßregelvollzug zu entlasten. Dies entspricht dem Lösungsvorschlag einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die für die Lösung der Kapazitätsprobleme in Entziehungsanstalten eingesetzt worden ist.

Diejenigen, die dadurch statt im Maßregelvollzug im Justizvollzug landen, dürfen wir aber nicht vergessen. Daher setzen wir von der grünen Bundestagsfraktion uns für eine grundlegende Verbesserung der Gesundheitsversorgung im Maßregel- und im Justizvollzug ein, damit alle inhaftierten Menschen die Behandlung erhalten, die sie benötigen.

Gerichtliche Anweisungen

Des Weiteren sieht das Gesetz vor, dass Gerichte Verurteilte zu einer psychiatrischen, psycho- oder sozialtherapeutischen Behandlung anweisen können. Die Möglichkeit, gemeinnützige Arbeit aufzuerlegen, wird ebenfalls ausgebaut. Dies ist ein grüner Erfolg, da wir als grüne Bundestagsfraktion das bereits lange gefordert haben.

Neben vielen guten und wichtigen Änderungen, die das Gesetz umfasst, sind an einigen Stellen aus unserer Sicht weitere Reformen notwendig, um das Strafrecht und sein Sanktionensystem effektiv und umfassend zu verbessern und gerechter zu gestalten. Insbesondere die Entkriminalisierung von im wissenschaftlich erforschten Zusammenhang mit Armut stehenden Delikten steht dabei für uns im Fokus. Innerhalb der Ampel werden wir uns weiter für eine gerechte und evidenzbasierte Modernisierung des Strafrechts einsetzen.