Pressemitteilung vom 12.10.2022

Fraktionsbeschluss: „11 Forderungen für die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar“

Zum Fraktionspapier „11 Forderungen für die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar“ (Link: https://www.gruene-bundestag.de/themen/menschenrechte/11-forderungen-zur-fifa-fussball-weltmeisterschaft-2022) erklären Boris Mijatović, Sprecher für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe, und Philip Krämer, Obmann im Sportausschuss:
 

Boris Mijatović:
Ab 20. November 2022 blickt die gesamte Sportwelt nach Katar. Unsere Erwartungen an die Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer sind deutlich formuliert: Eine weitere Verbesserung der Situation der Arbeitsmigrant*innen, die Stärkung von Frauen-, LGBTI+- und Menschenrechten, die Achtung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Einhaltung von verbindlichen und transparenten Umwelt- und Nachhaltigkeitsstandards bei der Durchführung der FIFA-WM.

Hierbei erkennen wir an: In Katar ist im Vorfeld der WM schon vieles passiert. Die Fortschritte, zum Beispiel das erste nationale Menschenrechtsforum und die Kooperation mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind wichtige Schritte. Ebenso hat Katar 2020 als erstes Land der Region das sogenannte „Kafala-System“ gesetzlich abgeschafft und einen Mindestlohn eingeführt. Bei der praktischen Umsetzung gibt es allerdings weiterhin Defizite. Auch bei den Rechten von Frauen und der LGBTI+ Community bleibt noch einiges zu tun. Die Frauenrechtslage in Katar ist prekär. Mädchen und Frauen sind – trotz einiger Fortschritte in den vergangenen Jahren – gesellschaftlich und rechtlich diskriminiert. Zudem steht Homosexualität weiterhin unter drakonischen Strafen. LGBTI+ werden gesellschaftlich stigmatisiert und tabuisiert. Die katarische Regierung muss die Gleichstellung vorantreiben und Menschen in ihrer Vielfalt schützen. Besonderen Schutz bedürfen zudem die zahlreichen weiblichen Hausangestellten. Da sie im privaten Raum tätig sind, stehen sie in besonderer Gefahr, häufig Opfer von Willkür und sexueller Belästigung zu werden. Dabei haben sie – wie alle Arbeitsmigrant*innen in Katar – nur eingeschränkten Zugang zu Gerichtsbarkeit und können nur selten erfahrenes Unrecht zur Anzeige bringen.

Wir sind überzeugt, dass der Staat Katar weitere Reformen und Standards auf dem Arbeitsmarkt umsetzen kann. Das schließt insbesondere die Rechte aller Beschäftigten auf Vereinigungsfreiheit und Tarifverhandlungen ein. Bisherige gesetzliche Fortschritte dürfen nach der WM nicht wieder verschwinden. Auch wenn die Scheinwerfer in den Stadien nach dem Finale erlöschen, werden wir unsere Anstrengungen, Katar bei diesen Reformprozessen zu unterstützen, fortsetzen. Wir wollen auch den Kulturaustausch mit Katar weiter fortführen und somit die zivilgesellschaftlichen Akteur*innen und die Menschen vor Ort stärken. Außerdem würdigen wir, dass sich Katar, anders als andere arabische Staaten, deutlich auf Seiten des geltenden Völkerrechts und der Ukraine gestellt hat.

Für die FIFA gilt: Die Vergabe und Ausrichtung von internationalen Sportgroßveranstaltungen muss strikt an die Beachtung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sowie Nachhaltigkeit geknüpft sein. Gastgeberländer von Sportgroßveranstaltungen müssen verpflichtet sein, ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht nachzukommen. Zudem fordern wir die FIFA auf, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in den eigenen Lieferketten umzusetzen. Die großen internationalen Sportverbände dürfen sich ihrer Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte und der Umwelt nicht entziehen, sondern sollten mit gutem Beispiel vorangehen.

Philip Krämer:
Die Vergabe der Fußball-WM durch die FIFA nach Katar wurde 2010 – wie viele Vergaben zuvor – von erheblichen Einwänden und Bedenken begleitet. Die massiven Menschenrechtsverletzungen des künftigen Gastgebers Katar waren und sind öffentlich bekannt. Nach der nunmehr erfolgten Vergabe ist es unsere Aufgabe, in der Bundesregierung, im Deutschen Bundestag sowie in den nationalen und internationalen Sportverbänden über nachhaltige Veränderungen und bessere Standards bei Menschenrechten, Arbeitsschutz und Umweltaspekten zu sprechen und diese Ziele zu erreichen. Geschehenes Unrecht muss aufgeklärt und Opfer dürfen nicht übergangen werden. Sport kann Menschen zusammenbringen, mit gutem Beispiel vorangehen und zudem Motor des Fortschritts sein – nicht aber, wenn Sportgroßereignisse durch Autokraten missbraucht werden.

Eine Demokratisierung der internationalen Sportverbände ist überfällig. Korruption ist in den Strukturen der FIFA weiterhin allgegenwärtig. Die Ankündigungen, Menschenrechte und Nachhaltigkeitsziele einzuhalten, bleiben ohne Folgen. Die FIFA steht jedoch in der besonderen Verantwortung, sich an internationalen Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsstandards zu orientieren und diese Vorgaben bei den nationalen Verbänden und den jeweiligen Regierungen der Gastgeberländer einzufordern.

Die derzeitige Debatte sollte uns in Deutschland auch zur Selbstkritik anregen: Viele deutsche Spitzensportverbände haben noch keine eigene Menschenrechtsstrategie erarbeitet. Das muss sich dringend ändern. Wir fordern verpflichtende Menschenrechtsstrategien aller Spitzensportverbände und wollen dies auch als Voraussetzung für die nationale Sportförderung. Aufgrund der fehlenden Datenschutzrichtlinien darf es zudem keine Datenübermittlung aus der Datei "Gewalttäter Sport" nach Katar geben. Während der WM muss die Sicherheit aller Fans umfassend und zu jeder Zeit gewährleistet sein. Auch Spielern, die sich kritisch äußern, muss öffentlich der Rücken gestärkt werden.

Ein Gastgeberland, das Homosexualität unter Strafe stellt, macht es schwer, den Zusicherungen des Organisationskomitees oder der FIFA einer sicheren Weltmeisterschaft für alle Fans Glauben zu schenken. Wir fordern die katarische Regierung deshalb dazu auf, während der Fußball-Weltmeisterschaft dafür zu sorgen, dass alle Gäste und Reisenden sich sicher im Land bewegen und aufhalten können. Im Dialog mit Katar und in der öffentlichen Kommunikation setzen wir daher weiterhin auf politische Reformen und werden diese auch nach der WM einfordern. Darüber hinaus sollten sich der DFB und die FIFA gegenüber katarischen Gesprächspartner*innen über die Weltmeisterschaft hinaus für eine langfristige Förderung von Frauen und Mädchen im Sport einsetzen.