Pressemitteilung vom 29.08.2022

Menschen vor gewaltsamen Verschwindenlassen schützen

Zum internationalen Tag der Verschwundenen am 30. August erklärt Boris Mijatović,  Sprecher für Menschenrechtspolitik:

Mehr als 100.000 Personen gelten allein in Mexiko als vermisst. Das zeigt: Gewaltsames Verschwindenlassen ist kein Verbrechen, das der Vergangenheit der lateinamerikanischen Militärdiktaturen angehört. Im Gegenteil: Mit Abstand die meisten Opfer gab es in Mexiko von 2006 bis heute. 98 Prozent der dokumentierten Fälle vermisster Menschen sind in diesem Zeitraum Opfer des gewaltsamen Verschwindenlassens geworden. In Kolumbien geht man von etwa 85.000 verschwundenen Personen aus.

Das Verbrechen des gewaltsamen Verschwindenlassens steht häufig im Kontext der organisierten Kriminalität im Drogenhandel wie in Mexiko oder Kolumbien.  In diesen Ländern verschärfen die Auswirkungen eines jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts die Lage noch dazu. Es sind Migrant*innen, Flüchtlinge, Journalist*innen, Aktivist*innen, die verschwinden, oder wie 2014 insgesamt 43 Lehramtsstudent*innen der Fachhochschule von Ayotzinapa in Mexiko. Das zeigt: Es kann jede/n treffen, der/die zur falschen Zeit am falschen Ort ist. Besonders häufig verschwinden Männer zwischen 15 und 40 Jahren.

Nicht nur in Mexiko und Kolumbien ist das Verbrechen des gewaltsamen Verschwindenlassens eklatant. In Nicaragua setzte Präsident Ortega vor der Wahl vergangenes Jahr das Verschwindenlassen gezielt als Waffe ein, um kritische Stimmen auszublenden. Auf den Philippinen sind seit dem Beginn des sogenannten „War on drugs“ zahlreiche Menschen spurlos verschwunden. Auch aus Syrien, der Ukraine und anderen Konflikt- und Kriegsregionen erreichen uns immer wieder Berichte über gewaltsam verschwundene Menschen.

Außer Nicaragua haben alle lateinamerikanischen Länder die Konvention der Vereinten Nationen zum Schutz aller Menschen gegen gewaltsames Verschwindenlassen unterzeichnet. Es muss endlich ein deutliches Bekenntnis dieser Länder zu der Konvention geben: Polizei und Staatsanwaltschaften müssen die Hinweise von Angehörigen ernstnehmen und in jedem Fall umfassend ermitteln. Hierzu bedarf es ausreichender finanzieller und forensischer Mittel und der intensiven Korruptionsbekämpfung. Die Straflosigkeit beim Verbrechen des gewaltsamen Verschwindenlassens liegt in einigen Ländern bei über 90 Prozent.

Und insbesondere gilt: Angehörige von Verschwundenen dürfen nicht vergessen werden. Sie leben jahrelang oder bis zum Ende ihres Lebens in Ungewissheit. Bei einigen bestimmt die Suche nach vermissten Angehörigen ihr ganzes Leben. Bilder von Müttern, die mit bloßen Händen in der Erde graben, in der Hoffnung, Überreste ihrer Kinder zu finden, sind nur schwer zu ertragen. Zu Recht werden Angehörige von Verschwundenen ebenfalls als Opfer anerkannt. Diese Menschen müssen wir bei ihrer Suche nach Angehörigen und nach Gerechtigkeit unterstützen.