Nationaler Dialog in Ägypten: Regierung muss nun glaubwürdige Schritte in Richtung Menschenrechte gehen
Zum Start des Nationalen Dialogs in Ägypten an diesem Dienstag erklärt Tobias B. Bacherle, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss:
Nach jahrelangem kompromisslosen Durchregieren und mangelndem Einbezug der Zivilgesellschaft, ist die Einrichtung eines Nationalen Dialogs in Ägypten zunächst als positiver Schritt zu bewerten. Jetzt muss die ägyptische Regierung aber auch zeigen, dass sie den Dialog ernst meint, kritische und oppositionelle Stimmen zulässt und konkrete Schritte in Richtung der Wahrung von Menschenrechten und Meinungsfreiheit geht.
Der Nationale Dialog, der vom Leiter der Journalist*innengewerkschaft Diaa Rashwan koordiniert wird, muss eine glaubwürdige, zivilgesellschaftlich getragene Initiative werden und darf kein Versuch sein, autoritäre Praxis lediglich zu verschleiern. Auch mit Blick auf die UN-Klimakonferenz (COP27) im November in Sharm El-Sheikh muss der Nationale Dialog ein konstruktives Umfeld für ein politisch inklusiveres und freieres Ägypten schaffen, das Presse- und Meinungsfreiheit während und vor allem auch nach der COP27 respektiert.
Für einen tatsächlichen Erfolg des Nationalen Dialogs ist es unbedingt notwendig, Akteur*innen aus dem gesamten politischen und zivilgesellschaftlichen Spektrum einzubeziehen, nicht zuletzt auch Journalist*innen, Blogger*innen und Menschenrechtsaktivist*innen. Kritische und oppositionelle Stimmen müssen frei, gleichberechtigt und ungestraft am Dialog teilnehmen und ihre Perspektive einbringen können. Der Dialog darf kein Regierungsvorhaben werden, wie Teile der Opposition, etwa die Parteien des Civil Democratic Movement, kritisch voraussagen.
Dass sich trotz einiger Freilassungen im Mai 2022 weiterhin zahlreiche Journalist*innen und Aktivist*innen in Ägypten ohne rechtsstaatliche Anklagen und Prozesse in Gefangenschaft befinden, ist zu verurteilen und in unseren Augen mit dem Ansatz des National Dialogs nicht vereinbar. Der Nationale Dialog muss sich auch der Tatsache stellen, dass seit 2013 zehntausende Menschen wegen ihrer politischen Überzeugung inhaftiert wurden.
Wenn Ägypten die Chance nutzen will, einen politischen Neuanfang nach innen und außen zu wagen und einen wirklich inklusiven nationalen Dialog zu führen, ist ein grundlegender Paradigmenwechsel unabdingbar. Fortschritte in der Menschenrechtspolitik und bei der Beteiligung der Zivilgesellschaft dürfen auch nach dem Wegfall der öffentlichen Aufmerksamkeit nach der COP27 nicht konterkariert werden. Ägypten muss jetzt in glaubhaften Schritten weitere politische Gefangene freilassen und willkürliche und politisch motivierte Verhaftungen in Zukunft unterlassen. Wir fordern daher auch die sofortige Freilassung des britisch-ägyptischen Menschenrechtsverteidigers Alaa Abdel Fattah, der demnächst die Schwelle von 100 Tagen im Hungerstreik übertreten wird.