Pressemitteilung vom 17.05.2022

Wahlen im Libanon: Dämpfer für Hisbollah, kleiner Raum für neue Kräfte

Zu den Parlamentswahlen im Libanon erklärt Lamya Kaddor, stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss:

Mit den Parlamentswahlen hat Libanons verkrustetes System und das sektiererische Wahlverhalten seiner Bürger*innen erste Risse bekommen. Das ist ein kleiner Grund zur Hoffnung für das völlig heruntergewirtschaftete Land. Die schiitische Hisbollah und ihre christlichen Partner, die Freie Patriotische Bewegung, haben einen klaren Dämpfer erhalten – und dies trotz Berichten von Einschüchterungen an einigen Wahlurnen. Zivilgesellschaftliche Kräfte, die aus den Protesten seit 2019 hervorgegangen sind, haben nach ersten Hochrechnungen 10 von 128 Parlamentssitzen gewonnen. Das ist ein erster, kleiner Schritt, der hoffen lässt. Ein klares Signal an die korrupte politische Klasse, dass die Geduld der Bevölkerung mit dem auf religiösem Proporz basierenden Establishment zu Ende geht.

Die Herausforderungen, die bleiben, sind enorm. Die junge Gesellschaft des Libanons, über vierzig Prozent der Bevölkerung sind nicht älter als 45 Jahre, braucht mehr denn je endlich Reformen:
Es müssen dringende wirtschaftliche und soziale Vorhaben umgesetzt werden, um die Staatskrise, die seit dem 1990 beendeten Bürgerkrieg herrscht, endlich zu beenden. Diese Krise wäre nach Einschätzung eines kürzlich veröffentlichen UN-Berichts vermeidbar gewesen und wurde durch eine verfehlte Regierungspolitik herbeigeführt. Der Internationale Währungsfond spricht von einer der schlimmsten Finanz- und Wirtschaftskrisen weltweit. Hinzu kommt, dass der Libanon zu 95 Prozent von ukrainischen und russischen Getreidelieferungen abhängig ist, die jetzt wegbrechen. Stromausfall, Engpässe bei Lebensmitteln und Medikamenten sind der harte Alltag der Menschen im Land. Der Grund: ein eklatantes Versagen ihrer religiös-ethnischen Eliten. Dazu kommt eine enorme Herausforderung durch die Aufnahme von Geflüchteten, allein aus Syrien leben 1,5 Millionen Menschen im Libanon in prekärsten Verhältnissen. Eine Gesellschaft unter Dauerstress.

Trotz des Wahlergebnisses wird sich nichts grundlegend an den Machtverteilungen und religiös festgeschriebenen Postenverteilungen im Libanon ändern. Der Druck der Geberländer, unter denen auch Deutschland ist, muss daher konsequent aufrechterhalten werden. Ohne die beschriebenen Reformen wird es kaum möglich sein, einen fortschreitenden Staatszerfall des Libanon zu verhindern und die Kultur der Straflosigkeit zu bekämpfen. Die Libanes*innen haben mit dieser Wahl klar gemacht: Ein „Weiter so“ darf es nicht mehr geben.