Statement vom 27.02.2024

Britta Haßelmann, Katharina Dröge sowie Robert Habeck anlässlich der heutigen Fraktionsklausur der Grünen Bundestagsfraktion

Anlässlich der heutigen Fraktionsklausur der Grünen Bundestagsfraktion nachfolgend Auftaktstatements der Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann, Katharina Dröge sowie Robert Habeck, Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz:

Britta Haßelmann:
Ich begrüße Sie alle ganz herzlich im Namen der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen hier in Leipzig. „Zusammen für unsere Demokratie“, unter dem Motto steht unsere Beratung in den nächsten Tagen mit der Fraktion, und wir freuen uns, dass unsere Minister*innen auch da sind und wir uns die Zeit hier nehmen können für eine intensive Debatte.
 

Leipzig, der Ort der friedlichen Revolution, wo Bürgerinnen und Bürger vor 35 Jahren auf die Straße gegangen sind und für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gekämpft haben, ist für uns ein guter Ort, heute hier zu tagen. Denn auch wir werden über die Stärkung der Demokratie diskutieren. Überall im Land gehen Tausende von Menschen auf die Straßen, und zwar nicht nur in Berlin, Hamburg oder München, in den Großstädten, sondern in vielen kleinen Orten und Gemeinden dieser Republik in Ost und West. Und sie tun das aus einem Selbstverständnis heraus, dass ihnen De-mokratie, Freiheit, Selbstbestimmung, diese vielfältige Gesellschaft und der Rechtsstaat etwas wert sind, Bedeutung hat. Sie tun das, weil die Gefahren des Rechtsextremismus, die Gewaltphantasien und Deportationsfantasien gegen Menschen, Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, allgegenwärtig sind. Und deshalb ist es so wichtig, das als ermutigendes Signal zu sehen und auch zu überlegen, wie wir das stärken können.
 

Wir haben im letzten Jahr bereits beim Parteiengesetz, beim Stiftungsgesetz und beim Disziplinarrecht klare und strikte Regeln auf den Weg gebracht, um unsere Demokratie und unsere Verfassungsorgane klarer und besser zu schützen und zu regeln. Und wir wissen, dass an vielen Stellen weiterer Handlungsbedarf besteht. Wir wollen gemeinsam mit den Partnern in der Koalition SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen, aber auch mit der CDU/CSU darüber nachdenken, wie wir unser Bundesverfassungsgericht resilienter, stärker und wehrhafter machen können. Das ist ein wichtiges Anliegen.
 

Und ich glaube, dass das letzte Wort da noch nicht gesprochen ist. Friedrich Merz hat vor ein paar Tagen gesagt, er hat kein Interesse, mit uns daran zu arbeiten. Das ist etwas, was viele Bürgerinnen und Bürger, glaube ich, ganz anders sehen. Wir strecken an dieser Stelle nochmal die Hand aus, denn wir brauchen das gemeinsame Interesse aller demokratischen Kräfte, hier zusammenzustehen und zusammenzuarbeiten.
 

Auch das digitale Gewaltschutzgesetz ist ein wichtiges Gesetz für Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, um sie besser vor Hass und Hetze zu schützen. Deshalb braucht es jetzt nach den Eckpunkten des Bundesjustizministers einen gesetzlichen Vorstoß.
 

Das Gleiche gilt für das Waffenrecht, denn Waffen gehören nicht in die Hände von Verfassungsfeinden. Wir haben zuletzt bei den Durchsuchungen der Reichsbürgerszene um den selbsternannten König von Deutschland gesehen, welche Waffen und welche Munition dort gefunden worden sind. Und deshalb braucht es auch hier einen Vorstoß von uns gemeinsam.
 

Ich will an dieser Stelle noch auf die Unterstützung der Ukraine eingehen. Wir alle wissen, dass viele Menschen im Land die Sorge vor der Lage der Welt, aber auch vor diesem furchtbaren Krieg, dem Angriffskrieg von Putin auf die Ukraine umtreibt und die Frage: Was bedeutet das eigentlich für uns? Und der beste Schutz an dieser Stelle ist, dass wir Europäerinnen und Europäer zusammenhalten, zusammenstehen in dem, was wir an Unterstützung leisten für die Ukraine – humanitär, wirtschaftlich und auch mit Waffen. Das ist der beste Weg zu garantieren, dass wir in Sicherheit und in Frieden leben können in Deutschland und in Europa. Aber wir wissen auch alle, dass Putin diesen Krieg nicht gewinnen darf. Er muss ihn verlieren! Die Ukraine muss ihren Verteidigungskampf gewinnen. Denn es geht nicht nur um die Sicherheit und das Leben, das selbstbestimmte, der Ukrainerinnen und Ukrainer, es geht auch um die Sicherheit und die Freiheit und die Friedensordnung in ganz Europa. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir gemeinsam und entschlossen handeln.
 

Wir als Grünen-Fraktion haben sehr deutlich gemacht, dass wir glauben, dass dazu neben der Lieferung von Munition auch Waffensysteme wie der Taurus gehören. Und gemeinsam mit Fachexpertinnen und Fachexperten sind wir der Auffassung, dass dies auch ohne Soldatinnen und Soldaten in der Ukraine möglich ist. Denn das, was jetzt Macron beschrieben hat, Bodentruppen in der Ukraine, schließen wir für uns selbstverständlich aus. Unsere Unterstützung, die Unterstützung Europas bezieht sich auf die humanitäre, die wirtschaftliche und die Unterstützung mit Waffen, das ist klar. Und der Taurus ist für uns hier ein wesentliches Waffensystem, wonach die Ukraine ja auch verlangt.
 

Ich glaube, es ist nicht die Zeit für Panikmache, sondern es ist Zeit, weiter und klar unseren Kurs zu verfolgen der Geschlossenheit und der Entschiedenheit in Europa zusammen mit den europäischen Partnern. Vielen Dank.

Katharina Dröge:
Das Thema Sicherheit, das Britta Haßelmann angesprochen hat, ist nicht nur in den außenpolitischen Fragen gerade ein drängendes für die Menschen in unserem Land. Auch in wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Fragen spielt der Wunsch nach Sicherheit eine extrem große Rolle. Aber gerade in diesen Bereichen wird es Sicherheit ohne den Mut zur Zukunft nicht geben. Die Menschen erwarten aus meiner Sicht zu Recht von uns ein Land, das einfach funktioniert. Das heißt zum Beispiel Schulen, in die es nicht reinregnet. Was muten wir unseren Kindern da eigentlich jeden Tag zu? Das heißt, dass auch auf den Dörfern der Bus regelmäßig kommt, damit zum Beispiel auch ältere Leute, die keinen Führerschein haben, selbstständig mobil sein können. Das heißt schnelles Internet, funktionierender Handyempfang überall, Stromnetze, die wir gemeinsam ausbauen wollen, und die Grundlagen für eine zukunftsfähige und klimaneutrale Wirtschaft.
 

Und all das ist möglich. All das ist nicht fernes „Wünsch dir was“, sondern all das können wir machen, wenn wir gemeinsam handeln. Und darum geht es uns als Grünen-Bundestagsfraktion: das gemeinsame Handeln an dieser Stelle in den Vordergrund zu stellen. Wir machen deswegen einen Vorschlag für einen Deutschland-Investitionsfonds für Bund, Länder und Kommunen gemeinsam. Es ist eine Einladung, eine ausgestreckte Hand, insbesondere an die Bundesländer, hier eine Reform mit uns auf den Weg zu bringen für ein Land, das einfach funktioniert.
 

Robert Habeck hat gezeigt in der vergangenen Woche, als er mit Kai Wegner gemeinsam eine Pressekonferenz gegeben hat, dass dieses Zusammenarbeiten über Parteigrenzen, über die Grenzen von Regierung und CDU, über Bund und Länder, dass das möglich ist. Diese Einladung, die wollen wir aussprechen, weil Kai Wegner hat ja sehr klar gesagt, er spricht an dieser Stelle für alle Ministerpräsidenten der Union, wenn er sagt, dass eine Reform der Schuldenbremse notwendig ist. Und wenn es so viele Befürworter gibt, dann muss es ja auch einen Weg geben. Nächste Woche spricht der Bundeskanzler mit den Ministerpräsidenten der Länder, und unsere Erwartung ist, dass er das da auch zum Thema macht, dass er das auch zu seinem Anliegen macht, die Wirtschaft in diesem Land in den Vordergrund zu stellen, die Stärkung von Investitionen, die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit in den Vordergrund zu stellen und damit ein gemeinsames Bündnis zu schließen.
 

Das Zweite, was die Menschen von uns erwarten, ist, dass wir ihre ganz konkreten Lebensrealitäten sehen. Das heißt, viele Familien, gerade in Ballungszentren, wissen nicht mehr, wie sie ihre Mieten bezahlen sollen, weil die Wohnkosten so explodieren. Und die Mietenregulierung, die im Koalitionsvertrag verabredet ist, die hängt seit zwei Jahren. Da kann ich nur beide Koalitionspartner auffordern, endlich den Weg freizumachen dafür, dass wir die Schritte für bezahlbares Wohnen in dieser Koalition auch gehen. Denn an uns Grünen liegt es nicht.
 

Und wir setzen uns ein beim Thema Mobilität für eine Preisgarantie für das 49-Euro-Ticket ein, weil wir hier diesen dreifachen Effekt haben: Gerechtigkeit, Klimaschutz, Mobilität der Zukunft voranbringen. Aber dafür braucht es auch die Zusage des Bundes, dass wir hier verlässlich sind.

Robert Habeck:
Vielen Dank, liebe Britta Haßelmann, liebe Katharina Dröge, dass ich hier zwischen euch stehen darf und auch nochmal einleitend für die Klausur und abschließend für unser Statement einen Kommentar abgeben darf – gemäß dem Motto: Zusammen für unsere Demokratie.

Ich finde, es ist bemerkenswert, welche Entwicklung unsere Partei, die Arbeit der Fraktion genommen hat, seit wir in die Politik gekommen sind. Von einer Partei, die kritisch war auch zur Demokratie, zur Parteiendemokratie, zu einer Partei und einer Fraktion im parlamentarischen Raum, die diese Demokratie nun stützt, verteidigt und sich entschieden vor sie stellt, wenn sie angegriffen wird.
 

Um es einmal zu übersetzen, was ich von dieser Klausur erwarte, aber wie ich auch finde, dass die Grünen, am Ende der politische Raum, agieren sollten, ist es wichtig, sich deutlich zu machen, woher der Druck oder der Angriff auf die Demokratie erfolgt. Im inneren Bereich haben wir es zunehmend mit einer politischen Polemisierung zu tun. Die scheint nur erst einmal oberflächlich ein Phänomen der sozialen Medien oder der Straße zu sein, also eine gewisse Verrohung der Sprache. Aber man täuscht sich, wenn man es dort stehen lässt. Diese Verrohung, sie kann Wirklichkeit werden, aus Worten folgen häufig Taten. Vor allem aber ist sie nicht irgendetwas, das da ist und das man übersehen kann oder nicht, sondern sieg ist das Kampfmittel des Populismus, die jeweiligen Probleme, die es gibt, die Herausforderungen, die ein Land oder eine Gesellschaft zu bestehen hat, so zu überzeichnen und zu überspitzen, dass man sich nicht mehr zuhört, dass es keinen Raum mehr gibt, wo Argumente ausgetauscht werden, wo man vielleicht lernt, wo man auch eine Chance hat, zuzugeben, dass die andere Seite einen guten Punkt hat. Statt miteinander zu reden, wird alles nur noch lauter, und dann ist die einzige politische Handlung, den Lautstärkeregler hochzudrehen. Dann brüllen sich alle an, und keiner hört sich mehr zu. Und am Ende ist ein Problem nicht mehr lösbar.
 

Dass ein Problem nicht mehr lösbar ist, darauf zielt der Populismus – und in Zeiten wie diesen darf man sagen: der rechte Populismus. Um damit den Beweis anzutreten: Guck mal, die Probleme sind ja gar nicht lösbar im Rahmen eines Diskurses, im Rahmen einer Demokratie, wo Argumente ausgetauscht werden, also stellen wir die Demokratie in Frage.
 

Dazu darf es nicht kommen. Wir brauchen Räume, wo miteinander diskutiert wird, wo wir lernen, wo wir zuhören, wo wir unsere Argumente weiterentwickeln und schärfen können. Da ist, diese Klausurtagung ein Beispiel dafür, wie es gehen kann und wie die Grünen ihre Rolle in diesem parteipolitischen Spektrum definieren. Wahrscheinlich liegt es auch daran, dass wir so viel Abneigung, Hass und Zorn auf uns ziehen, weil damit gesagt wird: Wir halten die politische Mitte. Das ist unsere Aufgabe, und das ist unsere Rolle.
 

Dieses Prinzip, Widersprüche miteinander in Spannung oder in Schwingung zu versetzen, ist das Prinzip, das Deutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark gemacht hat. Und das heißt Soziale Marktwirtschaft. Wenn man sich den Begriff auf der Zunge zergehen lässt, ist er voller Spannung. Marktwirtschaft im reinen, im radikalsten Sinne heißt, jemand soll Ideen auf den Markt bringen, Gewinne machen und reich werden. Und die beste Idee, die größte Macht setzt sich durch. Soziale Politik heißt häufig das Gegenteil: Gewinne begrenzen, sie einhegen. Und hier ist nun beides in ein Prinzip gebracht, das heißt, die Gewinne des Landes, sie sollen am Ende der Wohlfahrt der Menschen dienen, dem Land dienen. Natürlich soll Leistung sich lohnen und sollen Unternehmerinnen und Unternehmer ihre verdienten Gewinne haben, aber am Ende zielt wirtschaftliche Prosperität auf die Stärke des Landes und nicht auf den einzelnen Erfolg einer Person oder einem einzelnen Unternehmen. Also Widersprüche sind hier sozusagen versöhnt worden. Und das hat das Land stabil und stark gehalten, auch im Unterschied zu anderen Ländern, die radikaler in die eine oder in die andere Richtung agiert haben, also radikalere Marktwirtschaft haben, aber keine sozialen oder schlechtere soziale Ausgleichssysteme, oder das Prinzip der Marktwirtschaft, der Kreativität der Märkte, vernachlässigt haben gegenüber zu starker Regulierung.
 

Wenn das der Gedanke ist, auch der ökonomische Gedanke, dann sind die Anträge, die die Fraktionen gestellt haben, die Debattenimpulse, mehr als willkommen. Denn der Satz „Zusammen für unsere Demokratie“, er steht ja nicht im luftleeren Raum. Deutschland und Europa befinden sich in einer herausfordernden Situation, so herausfordernd wie vielleicht seit vielen Jahren nicht. Das gilt für die ökonomische Wettbewerbsfähigkeit in der Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine, die hohen Energiepreise, die Sorge um die Energiesicherheit. Und vielleicht darf man in Erinnerung rufen, dass diese Sorgen, die die letzten Klausuren überschattet haben, alle bewältigt bzw. in den Griff bekommen wurden. Was hat das Land in der gemeinsamen Kraftanstrengung zusammen geschafft. Und natürlich müssen wir jetzt wieder wachsen und brauchen wirtschaftliche Impulse in dieser kompetitiven Welt, wo andere Wirtschaftsregionen, andere Staaten Unternehmen mit hohen Subventionen abwerben bzw. mit Local Content Rules, also mit Vorgaben für eigene Produktion, das, was Deutschland ebenfalls stark gemacht hat, nämlich den Handel, versuchen, zu unterbinden oder jedenfalls zu fragmentarisieren.
 

Dazu kommt natürlich eine Bedrohung von außen. Das muss man ernst nehmen. Die Aggressivität der Staaten, die nationalistisch, ja, imperialistisch agieren, nimmt immer stärker zu. Das ist für Deutschland vor allem Russland im Moment. Und die Bedrohung auf das NATO-Territorium für Europa ist natürlich ernst zu nehmen. Insofern müssen wir auch da beides tun: Diese Bedrohung ernst nehmen heißt, zu investieren in die Verteidigungsfähigkeit des Landes. Das ist hier, nochmal zur Erinnerung, eine Grünen-Kursurtagung, aber wir leben in der Wirklichkeit, und wir wissen, welche Herausforderungen die Wirklichkeit stellt. Obwohl wir sicherlich andere Pläne hatten, als wir mal in die Partei eingetreten sind, als über Aufrüstung und einen höheren Wehretat zu reden, müssen wir das heute tun. Aber das natürlich, so wie Britta Haßelmann es gesagt hat, um zu deeskalieren und dafür zu sorgen, dass nicht eine kriegerische Haltung auf diesem Kontinent oder in der Welt erfolgreich sich durchsetzen kann. Viel zu diskutieren. Viele tolle Impulse. Wichtig ist mir, dass dieser Raum zur Diskus-sion geschätzt und gewertschätzt wird.