Rede von Cem Özdemir Landwirtschaft

Foto von Cem Özdemir MdB
18.01.2024

Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag kommen aus Regionen, die von Hochwasser betroffen waren oder sind. Die Ersten, die, ohne zu fragen, geholfen haben, waren unsere Landwirte. Sie haben nicht gewartet, bis der Staat kommt. Wenn der Nachbar absäuft, dann geht man hin und hilft. Das ist eine gute Gelegenheit, heute einmal Danke dafür zu sagen!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Das zeigt einmal mehr, dass Landwirtschaft mehr ist als die Erzeugung von Lebensmitteln. Sie ist ein wichtiger Teil unserer Gemeinschaft in ländlichen Räumen. Deshalb muss auch klar sein: Landwirtschaft zukunftsfest zu machen, bedeutet auch, unsere ländlichen Räume zu stärken. Indem wir der Landwirtschaft helfen, helfen wir unserer Demokratie und unserer Zivilgesellschaft.

Bäuerinnen und Bauern haben in den vergangenen Wochen sehr lautstark, aber eben auch ganz überwiegend friedlich protestiert. Das kann und darf man gerne mal anerkennen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Da es natürlich nicht ausgeblieben ist, dass mancherorts die üblichen Verdächtigen versucht haben, auf diese Proteste aufzuspringen, möchte ich sagen: Die Landwirtschaft ist bunt, sie ist eben nicht braun, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Landwirte sind in ihrer Mehrheit sicher konservativ. Aber es ist eben ein Konservativismus, der in der Mitte der Gesellschaft steht, und genau da brauchen wir ihn.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich kann gut verstehen, dass unsere Landwirtinnen und Landwirte auf die Straße gegangen sind. Der erste Vorschlag zur Abschaffung der Agrardieselbeihilfe und der Kfz-Steuerbefreiung kam plötzlich, er kam unerwartet. Das wäre – ich habe das gesagt – eine überproportionale Belastung einer einzelnen Branche gewesen.

Es sollte ein selbstverständlicher Teil unserer politischen Kultur sein, dass man Fehler anerkennen kann, sie korrigieren kann. Genau das haben wir getan. Auch dafür herzlichen Dank!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir haben jetzt einen Kompromiss gefunden, der angesichts der schwierigen Haushaltslage fair und vertretbar ist. Aber ich sage auch: Das bedeutet keinesfalls, dass unsere Arbeit damit getan ist. Ich habe in den letzten Wochen an vielen Orten mit unseren Landwirtinnen und Landwirten diskutiert, vor allem aber habe ich zugehört. Ja, der ursprüngliche Beschluss war der Auslöser für die Proteste unserer Landwirte. Aber immer wieder hat man mir gesagt, dass das nur der sprichwörtliche Tropfen war, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat – ein Fass, das will ich bei dieser Gelegenheit einmal sagen, das ich vor zwei Jahren gut gefüllt vorgefunden habe. Auch das gehört zur Wirklichkeitsbetrachtung, meine Damen, meine Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Markus Herbrand [FDP])

Da wundere ich mich schon über so manche Wortmeldung aus der Opposition. Manche tun hier so, als seien sie die letzten Jahrzehnte mit einem Einbaum im Amazonasgebiet auf Goldsuche gewesen und hätten mit all dem so gar nichts zu tun.

(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Na klar: 16 Jahre!)

Ich finde, wenn man über 50 Jahre im Landwirtschaftsministerium gesessen hat und so gar keine Demut zeigt, dann kann man wenigstens staatspolitische Verantwortung zeigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Hätten Sie so einen Hinweis mal an die SPD gegeben! Die hat ja mit der Vergangenheit nichts zu tun! Wer so auf andere zeigt!)

Wir können jetzt alle das übliche Ritual vollführen: Die Opposition tut einfach so, als hätte es zu ihrer Regierungszeit keinen Strukturbruch bei der Tierhaltung, kein dramatisches Höfesterben gegeben, und ich erkläre einfach, was wir die letzten beiden Jahre Großartiges gemacht haben.

Aber die Wahrheit ist doch: Wir bauen auf dem auf, was von Ihnen eingesetzte Kommissionen erarbeitet haben.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben zum Beispiel das Tierhaltungskennzeichen beschlossen. Wir haben allein für die Weiterentwicklung der Schweinehaltung in Deutschland 1 Milliarde Euro Anschubfinanzierung bereitgestellt. Noch in diesem Februar – viel schneller geht es nicht – tritt die Pflicht zur Herkunftskennzeichnung für unverpacktes Fleisch in Kraft. An der Ausweitung auf Außer-Haus-Verpflegung arbeiten wir bereits.

Das alles sind Punkte, die auf Ihrer Agenda standen. Es bricht uns allen doch kein Zacken aus der Krone, wenn wir das mal gegenseitig anerkennen. Ich glaube, dass unsere Landwirtinnen und Landwirte genug davon haben, dass wir mit dem Finger jeweils auf die anderen zeigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP] – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Das sagen die Richtigen!)

Wir haben jetzt die Möglichkeit, dass wir alle auf die Bäume gehen oder auf die Bäume treiben, und zwar möglichst weit nach oben,

(Stephan Brandner [AfD]: Auf die Bäume gehören die Grünen!)

oder wir arbeiten alle gemeinsam konstruktiv daran, dass unsere Landwirtschaft, die deutsche Landwirtschaft, zukunftsfest aufgestellt wird. Denn natürlich wissen gerade unsere Landwirtinnen und Landwirte, dass sie sich weiter verändern müssen, wie schon in der Vergangenheit. Wenn sich durch Verbraucherwünsche, durch die Klimakrise, durch das Artensterben die Rahmenbedingungen verändern, dann – das ist klar – kann man das nicht ignorieren. Sie erwarten aber mit Fug und Recht von uns, dass wir nicht nur Ziele setzen, sondern sie auf dem Weg dorthin angemessen begleiten,

(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Das tun Sie aber nicht!)

so wie das für jede andere Branche in Deutschland auch gilt und gelten muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Haben Sie den Eindruck, dass das passiert?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen damit nicht bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten, wir können damit sofort anfangen. Unsere Landwirte können Klima, Natur, Tiere schützen und gleichzeitig hochwertige Lebensmittel erzeugen. Aber den notwendigen Aufwand muss ihnen dann auch jemand bezahlen; sonst funktioniert es am Ende des Tages nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Landwirtschaft heißt eben vor allem auch „Wirtschaft“. Deshalb müssen wir ganz konkret die Stellung der Landwirte in der Wertschöpfungskette endlich verbessern. Nur so werden wir es schaffen, dass sie für ihre Leistungen faire Preise erzielen können. Dazu wollen wir das Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Gesetz weiter nachschärfen.

Um milcherzeugende Betriebe zu stärken, müssen wir Artikel 148 der Verordnung über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse umsetzen. Schriftliche Verträge zu Preisen und Liefermengen sollten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein.

Zudem werden wir die Monopolkommission beauftragen, die Wertschöpfungskette vom Landwirt bis zum Handel genau unter die Lupe zu nehmen.

Außerdem ist jetzt die Gelegenheit, dass wir uns parteiübergreifend auf einen Tierwohl-Cent einigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie der Abg. Carina Konrad [FDP] – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Hauptsache Steuern!)

Wenige Cent mehr pro Kilo Fleisch würden bedeuten, dass unsere Landwirte Tiere, Klima und Natur zum Wohle aller besser schützen können – wie es übrigens unsere Bürgerinnen und Bürger in etlichen Umfragen verlangen, wie es jüngst der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ in seiner Empfehlung gefordert hat

(Stephan Brandner [AfD]: Bürgerrat – die Labertruppe!)

und wie es die Borchert-Kommission in einem breiten Konsens vorgeschlagen hat.

Ob ich mit Kolleginnen und Kollegen hier im Haus, fraktionsübergreifend, oder ob ich mit den Landesagrarministerinnen und -ministern, und zwar aller Couleur, spreche, alle sagen mir: Es braucht eine planungssichere Finanzierung, damit unsere Tierhaltung in Deutschland krisenfest wird.

(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Warum haben Sie es nicht gemacht, Herr Minister?)

Wenn ich sie dann aber frage, ob sie bereit sind, öffentlich dafür einzutreten, dann wird es ehrlicherweise schon etwas schwieriger. Das gilt – ich will hier niemandem ein X für ein U vormachen – ausdrücklich auch für die eigene Regierung; auch das gehört zur Wahrheit dazu. Warum? Wenn die Currywurst ein paar Cent teurer wird, dann ist die Furcht vor einem Shitstorm groß.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Unsinn!)

Aber ich frage mal: Wollen wir wirklich so weitermachen, wollen wir immer laut danach rufen, dass die Empfehlungen der Borchert-Kommission umgesetzt werden, aber unsere Tierhalter dann, wenn es darauf ankommt, im Regen stehen lassen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Ich glaube, wir können das besser. Es ist jetzt an der Zeit, das umzusetzen.

Ich glaube nicht, dass wir uns weiter von Herrn Aiwanger auf der einen Seite und PETA auf der anderen Seite am Nasenring durch die Manege ziehen lassen sollten. Ein Tierwohl-Cent wäre eine Investition in die Zukunft unserer Landwirtschaft, in die ländlichen Räume und für gutes Fleisch aus Deutschland.

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)