Interview mit Willy Ruhl

Tulpe-Manager der ersten Stunde Willi Ruhl mit brit. Botschafter Sir Nigel Bloomfield beim Spiel gegen die Britische Botschaft in Bonn 1995
14.05.2008

Große Spiele, prominente Mitspieler und liebevolles Chaos

Interview: Christian Salewski

Willi Ruhl war Trainer, Kassenwart und Manager der Grünen Tulpe von ihren Anfängen 1983 bis 1999, dem Umzug der Fraktion nach Berlin. Als Beamter des Bundestags war er zur Fraktion "DIE GRÜNEN im Bundestag" gekommen und hat dort Funktionen in der Poststelle und im Versand bekleidet.

Herr Ruhl, was war das schönste Erlebnis, dass Sie mit der Grünen Tulpe verbinden?

Vielleicht nicht das Schönste, aber eines der Schönsten war, als ich den Botschafter ihrer Majestät, Sir Nigel Broomfield, kennen gelernt habe. Wir hatten gegen die britische Botschaft gespielt und saßen nach dem Spiel zusammen, mit Joschka Fischer und Konsorten. Da wurde diskutiert. Und dann sagt der Botschafter irgendwann zu mir: "Herr Ruhl, ich habe gehört, sie trinken Whiskey. Wenn das Rückspiel bei uns in der Botschaft ist, dann trinken wir mal einen Whiskey zusammen."

Und? Haben Sie Whiskey getrunken?

Sicher. Meine Mitspieler, die tranken oben in einem Kantinenraum ihr Bier, und ich wurde in den Keller gebeten und habe da mit dem britischen Botschafter geredet und am Whiskey genippt, wie es sich gehört. Das sind so Sachen, die schön waren.

Wie muss man sich ein Spiel gegen eine ausländische Botschaft vorstellen?

Die wurden schon immer so ein klein bisschen als Länderspiel aufgezogen. Mit anschließendem Empfang des stellvertretenden Botschafters und der ersten Botschaftssekretäre.

Die Grüne Tulpe hat in den Achtziger-Jahren auch gegen die sowjetische Botschaft gespielt. Hat da die Völkerverständigung via Fußball auch funktioniert?

Das war ja quasi eine Möglichkeit über den Eisernen Vorhang hinweg miteinander zu sprechen. Zwei Mal haben wir gegen die gespielt, einmal ein Unentschieden und einmal verloren. Da haben Botschaftsangehörige beim Empfang danach mit unseren Abgeordneten diskutiert. Einer von denen machte zu fortgeschrittener Stunde, als der Wodka schon ganz schön geflossen war, die Bemerkung: "Eines Tages wird die Sowjetunion den Westen überrollen, dann gibt es keinen Ferrari mehr, dann gibt es einen Sportwagen namens Lada." Da haben wir dann gut gelacht.

Klingt danach, als sei die dritte Halbzeit mindestens so wichtig gewesen, wie die beiden davor.

Der Wodka wurde nach den Spielen gegen die sowjetische Botschaft immer in Strömen genossen, zum Leidwesen unserer Spieler. Die kamen da einfach nicht mit. Aber es war toll gegen die sowjetische Botschaft damals.

 

Die Grüne Tulpe hat den Fußball immer wieder auch für politische Botschaften genutzt. Sie haben zum Beispiel gegen schwule Mannschaften gespielt.

Gegen mehrere. Gegen die Vize-Weltmeister der Gay-Games, das "Cream Team" aus Köln und auch gegen den schwulen Weltmeister aus London. Da haben wir auswärts gespielt. Das war natürlich totale Selbstüberschätzung und viele hatten für den Tartanboden in London keine Schuhe dabei. Da haben wir dann auch 0:3 verloren.

Aber der alltägliche Spielbetrieb bestand ja nicht aus internationalen Spielen, sondern aus den Spielen am Montagabend, wie es in Berlin immer noch ist. Wie sind Sie am Anfang zu Ihren Gegnern gekommen?

Die ersten Spiele, die wir gemacht haben, die hab ich organisiert mit diversen Betriebssportmannschaften. Dann wurde auch mal gegen das Bundeskriminalamt gespielt oder gegen Bundes- oder Landesministerien, wie zum Beispiel gegen das Ministerium von Michael Vesper, der damals Bauminister in Nordrhein-Westfalen war und jetzt Generalsekretär des Deutschen Sportbunds ist. Da haben wir mal in Düsseldorf gespielt, am ehemaligen Rheinstadion vor 20 Zuschauern.

Und wie hat sich die Mannschaft dann als offizielle Fraktionsmannschaft etabliert?

Als das alles etwas eingespielt war, habe ich den Verein dem Stadtsportbund gemeldet und wir haben Beiträge erhoben und bekamen Spenden von Abgeordneten. Die Fraktion hat uns später auch mit einem Fonds unterstützt, der extra eingerichtet wurde, damit wir Fahrten machen konnten. Man hat ja auch das Bild der Fraktion in der Öffentlichkeit dadurch gestärkt. Da wurde es doch von der Organisation her etwas perfekter gemacht.

Wenn Sie sagen "etwas perfekter", heißt das dann, dass es Anlaufschwierigkeiten gab?

Sicher. Zum Beispiel hatten wir für die ersten Spiele keine Trikots. Ich bin damals hingegangen und hab normale Turnhosen gekauft und als Trikot Unterhemden, wo wir grüne Embleme drauf geklebt haben. Das waren reinste Phantasiesachen, die sich nach einmaligem Waschen schon wieder aufgelöst hatten.

Das hat den Spielbetrieb aber nicht beeinträchtigt…

Nein, das waren eher andere Dinge.

Zum Beispiel?

Wir hatten manchmal Probleme, eine Mannschaft zusammenzubekommen. Viele Mitspieler der Grünen Tulpe sagten montags bis 14 Uhr für ein Fußballspiel zu, das abends um 18:30 war, und beim Spiel fehlte dann die Hälfte der Mannschaft. Beim Anpfiff standen dann sechs, sieben Leute da, weil es am Regnen war oder es war kälter geworden, dann kamen die Absagen: "Ich hab noch 'ne wichtige Besprechung." Oder Abgeordnete, die keine Lust hatten, zu spielen: "Ich hab 'ne Ausschusssache, die ich nicht absagen kann."

Was haben Sie denn dann gemacht? Sind Sie aufs Kleinfeld ausgewichen?

Meistens sind wir dann hingegangen und haben Leute, die am Platz standen eingespannt. Und ich kannte auch Leute von früher, von meiner aktiven Zeit, die dann schnell mal für die Grüne Tulpe eingesprungen sind.

Da liefen dann Leute auf, mit denen Sie noch nie gespielt hatten und die nichts mit den Grünen zu tun hatten?

Ja, manchmal. Das musste aber nicht unbedingt schlecht sein. Einmal hatten wir ein Spiel gegen die Betriebssportgruppe des Verteidigungsministeriums. Das waren sehr gute Spieler. Da fehlten auch wieder Leute und wir wollten das Spiel schon abblasen, da kamen vier Jugoslawen, Serben, ein Vater mit seinen Söhnen. Wie sich herausstellte, hatte der Vater in der Nationalmannschaft gespielt und die drei Söhne spielten alle in höheren Klassen in Jugoslawien. Die erklärten sich dann bereit, für uns zu spielen, zogen sich die Trikots über und spielten in ihren Straßenschuhen. Wir haben dann, was eine Sensation war, diese Verteidigungsleute geschlagen.

Das nennt man dann wohl schlaue Einkaufspolitik…

Ja, in dem Fall war das OK, aber es war natürlich manchmal auch peinlich.

Die Grüne Tulpe hat immer auch die Fraktion repräsentiert. Musste man sich da, gerade zu Beginn, auch mal politisch rechtfertigen?

Nein, das Sportliche stand im Vordergrund. Nur manchmal wollten die Gegner  nach dem Spiel noch diskutieren, vor allem wenn es gegen Mannschaften aus Ministerien ging, bei denen höhere Beamte dabei waren.

Das heißt auf'm Platz war auf'm Platz? Ganz unpolitisch?

Ja, aber das heißt nicht, dass es nicht auch mal zur Sache ging. Ich erinnere, dass wir einmal gegen eine Mannschaft der Stadt Bonn gespielt haben und da war einer dabei, der foulte ganz gerne, vor allem unseren späteren Abgeordneten Heinz Suhr. Der Suhr ist ein echtes bayrisches Urvieh aus Kempten. Er war schon damals etwas vollschlank, mit wallendem Bart und langen Haaren. Und nachdem er zum wiederholten Mal gefoult wurde, da kriegte sein Gegner mal einen Schlag mit. Suhr sagte danach im breitesten Dialekt: "'Wenn I in meiner bayerischen Heimat gwesn war, hätt I ihn kaputt ghaut." Das war dann doch nicht mehr die Gewaltfreiheit der Grünen. Aber das ist halt auch Fußball.

 

Gab es ab und zu auch innerhalb der eigenen Mannschaft Streit, um die Taktik etwa? Es gab ja damals noch keinen Trainer.

Ja, es gab nicht immer den sportlichen Frieden. Oft genug gab es Leute, die Vorwürfe machten, sie hätten spielen sollen oder warum wir verloren hatten.

Darf man da Namen erfahren? Das ist ja quasi verjährt…

Vor allem war das – das kann man ruhig sagen – Joschka Fischer. Fischer machte allen Leuten Vorwürfe. Alle hatten Schuld, dass er den Ball nicht bekommen hatte, auch der Schiedsrichter. Ein häufiger Spruch von Fischer war: "Ich habe immer dasselbe Problem mit den Schiedsrichtern. Ich bin so schnell, dass der Schiedsrichter mich immer im Abseits sieht."

Aber zu richtigen Zerwürfnissen kam es dann nicht?

Nein, das betraf dann nur den Fußball. Aber der Egoismus war sehr stark verbreitet, vor allem zwischen berühmten Politikern wie Joschka Fischer und Hubert Kleinert. Da kam es mal zu einer Szene, wo ein Schiedsrichter das Spiel unterbrach, mich zu sich rief und sagte: "Herr Ruhl, normalerweise muss ich pfeifen, wenn Tätlichkeiten gegen die gegnerische Mannschaft vorkommen. Aber bei ihnen muss ich pfeifen, damit sich ihre Leute nicht gegenseitig verprügeln."

Wer hat denn von der Parteiprominenz noch mitgespielt außer Joschka Fischer und Hubert Kleinert?

Ludger Volmer war bei vielen Spielen dabei. Die Abgeordneten hatten aber meist so viel zu tun, dass sie nicht immer zu den Terminen kommen konnten. Aber zu meiner Zeit waren da doch einige bekannte Gesichter dabei, zum Beispiel Cem Özdemir, Rezzo Schlauch, Rainder Steenblock, der Minister in Schleswig-Holstein war, Matthias Berninger, der später Staatssekretär wurde. Und Angelika Beer hat mehrmals für uns den Anstoß gemacht. 

Gab es auch Promis, die zu den besten Spielern gehörten?

Ein paar. Da gab es einen Spieler direkt am Anfang, den Abgeordneten Matthias Kreuzeder aus Bayern. Der hatte in der Bayernliga gespielt und war ein eisenharter Spieler, der auch auf Betriebsebene jedes Spiel sehr ernst nahm. Wir hatten mit Wolfgang Bayer sogar einen ehemaligen 2. Bundesligaspieler. Ein schlaksiger, großer Mann, der auf dem Spielfeld wie eine Giraffe lief, zwar ulkig, aber sehr effektiv. Richard Herten vom Bundesvorstand, der war auch sehr gut. Und natürlich Ludger Volmer, der ein guter Torwart war.

Aber woran lag es denn, dass Sie anfangs so oft verloren haben, wenn es so viele gute Spieler gab?

Die Gesamtmannschaft, die war nicht homogen und hatte keine Disziplin. Es nützt ja nichts, wenn ein Einzelspieler gut ist, während die anderen ihr eigenes Süppchen kochen.

War das vielleicht auch der antiautoritären Überzeugung geschuldet, dass die Mannschafts-Disziplin eher locker gesehen wurde?

Vielleicht. Wenn ich im Training sagte: Wir spielen jetzt um die Pflöcke so rum, dann schoss der eine den Ball da hin, der andere da. Keiner hielt sich dran. Wir haben die ersten Spiele auch meistens wegen der Disziplinlosigkeit verloren.

Musste man sich bei diesen Disziplinproblemen, die Sie beschreiben, auch manchmal Sprüche vom Gegner anhören wie: "Die Grünen wieder, war ja klar"?

Am Anfang gab es manchmal Mannschaften die sagten: "Da kommen die Penner." Weil ein paar dabei waren, auch von den Abgeordneten, die nach Hippie-Manier die Haare bis zum Hintern runterhängen hatten. Also so was kam vor, aber Beleidigungen selbst nicht.

Auf den Schiedsrichter wurde aber gehört, oder?

Nicht immer. Manchmal achteten die Schiedsrichter darauf, dass die Spieler das Trikot in der Hose hatten. Viele von uns standen auf dem Standpunkt: "Das geht den Schiedsrichter nichts an." Die haben dann extra das Trikot über der Hose getragen, dass der Schiedsrichter hinging und sagte: "So, ich pfeife nicht an, bevor nicht alle richtig gekleidet sind." Die Gegenmannschaft stand da und war korrekt gekleidet und ein paar Leute von uns hatten dann den zivilen Ungehorsam vor.

Es gab doch mal einen Spielabbruch bei einem Spiel gegen das Bundesinnenministerium, angeblich weil der Schiedsrichter nicht ganz kompetent war. Was war da los?

Das lag nicht am Schiedsrichter. Wir müssen ja bei der Wahrheit bleiben. Der Schiedsrichter stellte einen von uns in der zweiten Halbzeit vom Platz, aber der hat sich geweigert, vom Platz zu gehen, und hat wohl eine beleidigende Bemerkung fallen lassen. Der Schiedsrichter hat dann das Spiel abgebrochen. Dafür mussten wir später 80 DM Strafe an den Betriebssportverband bezahlen.

Mit dem Abstand von über 20 Jahren, wie würden Sie die ersten Jahre der Grünen Tulpe bezeichnen?

Naja, das war halt das Chaos damals. Aber es war ein liebevolles Chaos.