Rede von Renate Künast Landwirtschaft

Renate Künast MdB
18.01.2024

Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe demokratische Kolleginnen und Kollegen!

(Stephan Brandner [AfD]: Deutsche demokratische Altfraktionen, heißt das!)

Sehr geehrter Herr Merz, ich war wie viele hier, glaube ich, wirklich entgeistert, wie und wozu Sie hier gerade geredet haben.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist genau das Problem!)

Ich habe ja verstanden, dass Sie einen Auftritt suchten. Sie haben dann diese Gelegenheit genutzt. Es hätte auch eine gestrige Debatte sein können. Dieser Fundamentalismus, den Sie hier vorgetragen haben,

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ach du meine Güte!)

anderen Moral vorzuwerfen und Ähnliches, hat mich wirklich irritiert. Ja, glauben Sie ernsthaft, wir würden uns dafür schämen, dass wir Werte und Moral haben?

(Stephan Brandner [AfD]: Ja! Haben Sie ja gar nicht!)

Glauben Sie ernsthaft, wir schämen uns dafür, dass wir Verfassungspatrioten sind und zu dem ersten Satz des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ stehen?

(Stephan Brandner [AfD]: Das sind Sie doch gar nicht, Frau Künast!)

Nein, Herr Merz, wir stehen dazu,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

und wir brauchen diesen Satz gerade in diesen politischen Zeiten, in denen Menschen darüber philosophieren und Pläne machen, wie man Menschen, die andersdenkend sind, aus diesem Land vertreibt. Herr Merz, das ist doch der entscheidende Punkt.

Wir schämen uns auch nicht, wenn es hin und wieder ein Verbot gibt. Dafür haben wir einen Staat, Parlamente und Regierungen: dass sie uns schützen. Wer wollte denn jetzt zum Beispiel das Dioxin-Verbot aufheben oder Ähnliches? Ich weiß, manche haben jetzt darüber geredet und zum Beispiel gefordert, alles seit Künast wieder aufzuheben. Ich wünsche gute Verrichtung. Es hilft der Landwirtschaft am Ende auch nicht, wenn Sie keine gute Ausbildung der Futtermittelkontrolleure oder keine Rückstellproben in der Mischfuttermittelindustrie mehr machen. Das ist alles Gerede, meine Damen und Herren.

Kommen wir wieder auf den Punkt zurück: 94 Prozent der Bevölkerung – das ist gerade in Analysen im Ernährungsreport herausgekommen – wollen eine bessere Tierhaltung und weniger Ställe. 87 Prozent wollen mehr Ökolandbau. 86 Prozent wollen eine verpflichtende Kennzeichnung. 84 Prozent sind für höhere Einkommen bei den Landwirten. – Dann heizen wir doch bitte die Stimmung nicht weiter an, sondern packen wir diese Aufgaben endlich an, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mir ist ein Satz von Ulrich Beck eingefallen, der ein großes Problem zum Ausdruck bringt. Er hat mal gesagt, dass es in manchen Bereichen eine verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre gibt. Denjenigen, die hier sagen: „Setzen wir doch schnell Borchert um, setzen wir alles von der ZKL um“, sage ich: Mir, uns und den Bauern reicht die verbale Aufgeschlossenheit nicht, wenn gleichzeitig jedes Mal, wenn Punkte aus der Borchert-Kommission, aus der Zukunftskommission Landwirtschaft umgesetzt werden, national oder in Europa eine Blockadepolitik gemacht wird. Sie müssen Ihren Worten auch Taten folgen lassen durch das eigene Verhalten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das sage ich allen, die Lobbyismus in Brüssel machen, allen, die am Ende im Bundesrat anders abstimmen, obwohl sie so tun, als würden sie für die Bauern etwas tun wollen.

Ich bin froh – und ich weiß, dass das eine große Mühe gewesen ist –, dass die Bauernverbände und der DBV sich bei den Demos am Ende nicht haben vereinnahmen lassen, meine Damen und Herren. Die Sorge war zu Recht da.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Gero Clemens Hocker [FDP])

Das zu verharmlosen, Herr Merz, finde ich auch nicht richtig.

(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Hä? – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Oh Mann!)

Die Sorge war da. Selbst der Präsident und Vertreter des Bauernverbandes – die werden darüber ja wohl nicht lügen – sagen, dass es stimmt, dass es dort Galgen mit Puppen gab,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

die in den Ampelfarben angezogen waren, oder Galgen mit Ampeln gab, dass dort alte NS-Symbole gezeigt wurden.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Wer hat denn so was gesehen?)

Und sie bemühen sich, das auch mit freiwilligem, ehrenamtlichem Engagement zu verhindern. Das ist positiv, muss man sagen; denn wenn man nicht darüber redet, vergisst man auch, was sich da in einzelnen Gruppen an Versuchen der Funktionalisierung darstellt, meine Damen und Herren. Damit hätten wir den Bauern auch nicht gedient.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Lassen Sie uns jetzt mal anfangen! Wenn wir Dinge infrage stellen und vorbringen, dann sage ich: Wir müssen auch mal Außenhandelsverträge infrage stellen. Es kann ja nicht sein, dass wir so tun, als täten wir alles für die Bauern, es aber am Ende nur um Export in großem Umfang geht, und zwar von Industrieprodukten und nicht mehr von Landwirtschaftsprodukten, und alles andere da neu reinkommt, zu ganz anderen Umwelt- und sozialen Bedingungen, mit denen die Landwirte hier nicht mithalten können.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das müssen auch Sie mal hinterfragen. Unterstützen Sie an der Stelle doch bitte die nächsten Schritte der Umsetzung des Tierhaltungskennzeichnungsgesetzes! Wir haben in diesem Zusammenhang das Baurecht verändert und dafür 1 Milliarde Euro bereitgestellt.

Und wenn wir jetzt etwas für die Bauern und für unsere Verlässlichkeit tun wollen, dann gehe ich mal davon aus, dass jede und jeder in diesem Haus aufsteht und dafür kämpft, dass es einen Tierschutzcent gibt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich bin froh, dass Carina Konrad das am Montag in der „Süddeutschen Zeitung“ auch gesagt hat. Das ist der Weg und Ausdruck von Verlässlichkeit: dass man eine Gruppendefinition hat, in der man seinen Betrieb über Jahrzehnte positioniert, und dass der Mehraufwand für den Tierschutz wirklich bezahlt wird, meine Damen und Herren.

Wir müssen viele Dinge anpacken, und das tun wir jetzt:

(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Na ja!)

bei der Förderung von Wettbewerb und Fairness zur Stärkung der Marktposition oder beim Thema der Betriebsgrundlagen; das ist das Klima. Es gibt die Möglichkeit, Einkommen aus der Erzeugung erneuerbarer Energien zu erwirtschaften; wir führen das bei der Tierhaltung fort. Wir sorgen in der Ernährungspolitik dafür, dass Kantinen sich umstellen und mehr regional gearbeitet wird. Wir eröffnen neue Felder, wie zum Beispiel die Nutzung pflanzlicher Proteinquellen.

Für das alles braucht es nicht nur warme Worte. Wir reden das Land nicht schlecht, meine Damen und Herren.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Was haben Sie denn die letzten zwei Jahre gemacht? – Albert Stegemann [CDU/CSU]: Sie lassen die Landwirtschaft ausbluten!)

Mein letzter Satz: Herr Böckenförde, ehemaliger Verfassungsrichter und Christ, hat vor vielen Jahren mal geschrieben, dass der demokratische Rechtsstaat von Voraussetzungen lebt, die er selber nicht schaffen kann.

(Stephan Brandner [AfD]: Punkt! Der Satz ist zu Ende, Frau Künast!)

Dazu gehört eine ihn unterstützende Zivilgesellschaft.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Das richte ich auch an Sie: Reden Sie das Land nicht schlecht! Geben Sie nicht den Trump, sondern gehen Sie mit uns nach vorne – für die Landwirtinnen und Landwirte!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Präsidentin Bärbel Bas:

Als Nächster hat das Wort für die CDU/CSU-Fraktion Alexander Dobrindt.

(Beifall bei der CDU/CSU)