Rede von Tessa Ganserer Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung
Tessa Ganserer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen und Kolleginnen! Wie Sie sicher alle wissen, wurde der Begriff der Nachhaltigkeit aus der Forstwirtschaft entlehnt, und so ist es mir als studierte Försterin eine besondere Ehre, meine erste Rede hier im Deutschen Bundestag zur Einsetzung des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung halten zu dürfen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wurde im Laufe der Zeit unterschiedlich definiert und im Sprachgebrauch bisweilen deutlich überstrapaziert. Deswegen ist es mir ein Anliegen, noch mal daran zu erinnern, dass der Erfinder der forstlichen Nachhaltigkeit, Hans Carl von Carlowitz, eigentlich Oberberghauptmann im Erzgebirge war. Der Reichtum des damaligen kurfürstlichen Sachsens war im Wesentlichen auf das Bergwerks- und Hüttenwesen gegründet, wofür gigantische Mengen Holz als Baustoff und Energieträger benötigt wurden.
Carlowitz’ Ansinnen war es, mit einer geregelten forstlichen nachhaltigen Nutzung dafür zu sorgen, dass Holz dauerhaft als Grundlage für soziales und wirtschaftliches Wohlergehen auch zukünftigen Generationen gesichert bleibt. Es war also ökonomische und soziale Weitsicht, die ein ökologisches Handeln zwingend notwendig hat werden lassen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Liebe Kollegen und Kolleginnen, das war im 18. Jahrhundert. Und wo stehen wir heute, im 21. Jahrhundert? Seit 2002 gibt es die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Zwei Jahre später, im Jahr 2004, hat der Deutsche Bundestag den PBnE zum ersten Mal eingesetzt, um die Nachhaltigkeitspolitik der Bundesregierung auf parlamentarischer Ebene themenübergreifend zu begleiten. Seit 2006 steht uns ein ausführlicher Indikatorenbericht zur nachhaltigen Entwicklung in Deutschland zur Verfügung.
Liebe Kollegen und Kolleginnen, das alles war in Deutschland schon da, als im Jahr 2006 der ehemalige Chefökonom der Weltbank, Sir Nicholas Stern, seinen berühmt gewordenen Bericht zum Klimawandel veröffentlicht hat. Seitdem ist klar, dass das Nichtstun auf Dauer deutlich teurer wird, als jetzt die notwendigen Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Was aber ist in der Zwischenzeit geschehen? Die Union, die sich sonst eigentlich so wirtschaftskompetent gibt, ist in den letzten 16 Jahren weniger durch ökonomische, weitsichtige Entscheidungen, sondern vielmehr durch Nichtstun aufgefallen.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Deshalb geht es ja dem Land tatsächlich auch so schlecht!)
Schauen wir uns unsere heutigen Lebens- und Wirtschaftsweisen an, so drängt sich die Vermutung auf, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ und das nachhaltige Prinzip außerhalb der Forstwirtschaft noch gar nicht richtig verstanden worden ist. Ein weiteres Beispiel ist der Boden. Er ist die Grundlage für die Lebensmittelproduktion und ein nicht vermehrbares Gut. Trotzdem verschwinden hier bei uns in Deutschland täglich 56 Hektar unter Asphalt und Beton. Wir entziehen somit nahezu täglich einem landwirtschaftlichen Vollerwerbsbetrieb die Existenzgrundlage; das sind im Jahr durchschnittlich 324 Vollerwerbsbetriebe in Deutschland, denen wir buchstäblich den Boden unter den Füßen wegreißen. Das ist nicht nachhaltig.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Nachhaltige Entwicklung ist eben nicht nur eine Aufgabe, die in der Südhalbkugel zu leisten ist, sondern auch wir hier in Deutschland haben als Industrienation eine gigantische Aufgabe vor uns. Deswegen hat die Ampelkoalition sich das Ziel gesetzt, verbindliche Nachhaltigkeitsstrategien, ‑ziele und ‑programme im konkreten Regierungshandeln einzuhalten und diese schon bei der Erstellung von Gesetzen zu berücksichtigen.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das muss man heute schon!)
Unterstreichen möchte ich hier, dass dabei alle Ministerien gefordert sind und ihren Beitrag leisten müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Doch so wie in der Forstwirtschaft braucht es auch in der Politik eine Institution, die fernab vom operativen Tagesgeschehen über die Einhaltung dieser Nachhaltigkeitsziele wacht und notfalls zum Nachjustieren mahnt. Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwicklung verfolgt diese Aufgabe seit 18 Jahren, und er hat sich in dieser Aufgabe bewährt. Ebenso bewährt hat sich die interfraktionelle Zusammenarbeit. In diesem Sinne freue ich mich auf eine konstruktive Zusammenarbeit im PBnE.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Vizepräsident Wolfgang Kubicki:
Vielen Dank, Frau Kollegin Ganserer. – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Rainer Kraft, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)