Rede von Helge Limburg Völkerstrafrecht
Helge Limburg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben, dass das Völkerrecht weltweit unter Druck gerät und weltweit täglich Völkerrechtsverbrechen verübt werden, am auffälligsten durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und die täglichen Angriffe auf zivile Ziele durch die russische Armee. Aber auch Myanmar, Syrien, Israel, Gaza oder der Sudan sind Schauplätze von möglichen Völkerrechtsverbrechen.
Die Menschheit hatte sich nach den Verbrechen der Shoah und all den Gräueltaten und Massakern, die Wehrmachtssoldaten und Angehörige der SS in ganz Europa verübt hatten, nach den Genoziden und Bürgerkriegen in Bosnien-Herzegowina und in Ruanda geschworen: Niemand, der solche Straftaten begeht, sollte zukünftig noch straffrei davonkommen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP)
Wer solche Verbrechen begeht, muss sich verantworten. Deshalb wurde das Römische Statut verabschiedet. Deshalb wurde in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch verabschiedet. Deshalb wurde zur Ahndung von Kriegsverbrechen, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von Völkermord das Weltrechtsprinzip eingeführt, sodass Straftaten auch dann in Deutschland verurteilt werden können, wenn sie weit weg von uns und ohne Beteiligung deutscher Staatsangehöriger begangen wurden.
Meine Damen und Herren, seit einigen Jahren gibt es zunehmend entsprechende Verfahren vor deutschen Gerichten. Die Verfahren wegen Verbrechen im Kongo, in Syrien, im Irak oder auch in Gambia sind weltweit beachtet worden. Natürlich sind die Erfahrungen aus diesen Verfahren auch in diesen Gesetzgebungsprozess eingeflossen.
Meine Damen und Herren, was bedeutet Verschwindenlassen? Verschwindenlassen ist mehr als Freiheitsberaubung, mehr als willkürliche Verhaftung. Verschwindenlassen bedeutet, dass plötzlich Menschen verschleppt werden, ohne dass Angehörige auch nur eine Vorstellung davon haben, wer warum wie lange ihre Liebsten verschleppt und entführt. Dauert es Tage, Monate, Jahre, oder ist es vielleicht für immer? Betroffene wissen das nicht. Diese grausame Ungewissheit, das Bangen ist elementarer Bestandteil des Straftatbestands des Verschwindenlassens. Deswegen ist es richtig, dass er im Völkerstrafgesetzbuch einen so prominenten Platz hat. Deswegen ist es auch richtig, dass wir jetzt erstmalig in Umsetzung einer UN-Konvention im deutschen Strafgesetzbuch ein entsprechendes Delikt normieren.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Verschwindenlassen war ein Unterdrückungsinstrument der südamerikanischen Diktaturen in den 70er- und 80er-Jahren. Auch die Deutsche Elisabeth Käsemann war eines der Opfer. Aber wir erleben es auch heute, zum Beispiel durch den syrischen Diktator Assad, zum Beispiel durch die russischen Besatzer im Osten der Ukraine seit 2014. Wir müssen alles tun, damit diese Straftaten nicht ungesühnt bleiben. Deshalb ist es richtig, dass wir das sogenannte Nachfrageerfordernis streichen. Niemand soll bei russischen Pseudobehörden nachfragen müssen, wo denn der Angehörige ist, bevor eine Strafverfolgung beginnen kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Meine Damen und Herren, genau heute vor einem Jahr wurde der Kachowka-Staudamm in der Ukraine gesprengt. Alles deutet auf russische Täter hin. Die Auswirkungen für Menschen, Tiere und die Umwelt in der Region sind bis heute verheerend. Auch solche Taten müssen gesühnt werden. Die hohen rechtlichen Hürden, die das Römische Statut für die Ahndung von Umweltkriegsverbrechen aufstellt, werden zu Recht gerade auch vom Internationalen Strafgerichtshof, der Anklagebehörde, überprüft. Wir fordern die Bundesregierung auf, sich ebenfalls für Verschärfungen in diesem Bereich einzusetzen.
Mit unserem Gesetzentwurf stellen wir klar, dass zukünftig auch bei innerstaatlichen Konflikten, also bei Bürgerkriegen, Verbrechen gegen die Umwelt geahndet werden können. Die Umwelt ist kein Eigentum eines bestimmten Staates, keine innerstaatliche Angelegenheit. Wenn Verbrechen gegen die Umwelt verübt werden, dann betrifft das natürlich die gesamte Weltgemeinschaft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vergewaltigt werden in Konflikten Männer, Frauen und Kinder. Aber die Hauptleidtragenden sind natürlich Frauen und Mädchen. Wir stellen mit diesem Gesetzentwurf klar, dass neben der Vergewaltigung, die natürlich in Konflikten und auch anderswo schon immer strafbar war, auch andere Formen sexualisierter Erniedrigung und Straftaten gegen die reproduktive Selbstbestimmung – es ist bereits angesprochen worden – unter Strafe gestellt werden. Auch in bewaffneten Konflikten muss gelten: Frauenrechte müssen überall geschützt werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU])
Wir führen die Nebenklage auch für Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch ein; es ist gesagt worden. Betroffene erhalten damit mehr Rechte, auch ein Recht auf psychosoziale Prozessbegleitung – ein großer, wichtiger Schritt.
Opfer von Straftaten sind auch im Völkerrechtskontext nicht nur Zeugen, sondern sie haben selbst eine Stimme. Oft nehmen mutige Opfer vor allem deshalb an Prozessen teil, um einmal ihre Geschichte vor der Öffentlichkeit erzählen zu können. Deshalb haben wir – meine Kollegin hat es gesagt – in den parlamentarischen Beratungen klargestellt, dass es die Möglichkeit geben muss, den Schlussvortrag auch selbst als Opfer zu halten und ihn nicht an einen Nebenklageanwalt delegieren zu müssen. Das dürfen wir den Opfern nicht verwehren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Öffentlichkeit ist ein wichtiges Grundprinzip in Strafverfahren. Bei Völkerstrafverfahren sollte das natürlich nicht nur die deutsche, sondern auch die Öffentlichkeit des betroffenen Landes und auch die Weltöffentlichkeit sein. Deshalb stellen wir klar, dass es ein Recht auf eigene Flüsterdolmetscher und einen Zugang zu gerichtlicher Verdolmetschung geben soll. Zusammen mit den vom Bundesjustizministerium veranlassten regelmäßigen Übersetzungen von Urteilen ins Englische stärken wir damit die internationale Rezeption solcher Völkerstrafverfahren.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, wo Kriegsverbrechen nicht verhindert werden können, da müssen sie geahndet werden. Die deutsche Justiz ist hartnäckig und lässt nicht locker. Menschenrechte gelten weltweit und für alle. Die Strafverfolgung ohne Ansehen von Amt und Person darf niemals ruhen.
Benjamin Ferencz, einer der Ankläger von Nürnberg, hat einst festgestellt:
„Es kann keinen Frieden ohne Gerechtigkeit geben, keine Gerechtigkeit ohne Gesetz und kein sinnvolles Gesetz ohne ein Gericht, das entscheidet, was unter den jeweiligen Umständen gerecht und rechtmäßig ist.“
Mit diesem Gesetz leisten wir einen kleinen Beitrag dafür, das zu verwirklichen. Ich freue mich, dass wir das auch gemeinsam mit der demokratischen Opposition tun.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie des Abg. Carsten Müller [Braunschweig] [CDU/CSU])
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat der Kollege Dr. Volker Ullrich für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)