9-Euro-Ticket

ÖPNV rückt in die Mitte der Verkehrspolitik

Gelbe U-Bahn fährt auf einer Hochtrasse über Autos auf einer Straße. Ein starker ÖPNV ist die Basis für eine klimafreundliche Mobilität. Ihn auszubauen und zu modernisieren, ist ein zentrales Ziel der Ampel-Koalition.
Ein starker ÖPNV ist die Basis für eine klimafreundliche Mobilität. Ihn auszubauen und zu modernisieren, ist ein zentrales Ziel der Ampel-Koalition. Das "Neun-Euro-Ticket" ist dafür erst der Anfang. istock | querbeet
20.05.2022
  • Das 9-Euro-Ticket kommt. Ab 1. Juni können Bürgerinnen und Bürger deutschlandweit für drei Monate das vergünstigte Ticket nutzen, damit beginnt im ÖPNV eine neue Zeitrechnung.
  • Mit dem 9-Euro-Ticket rückt die Ampelkoalition den ÖPNV in den Mittelpunkt der Verkehrspolitik. Erstmals wird erfahrbar, wie bequem und komfortabel Bus und Bahn genutzt werden können, weil deutschlandweit ein Fahrschein gilt und die Zersplitterung in zahlreiche Verkehrsverbünde und Tarifgebiete entfällt.
  • Ein starker und moderner ÖPNV, gut vernetzt mit Fußverkehr, Fahrrad und Carsharing, ist Garant für moderne Mobilität und Klimaschutz. Ihn gilt es auszubauen und finanziell auf eine verlässliche Grundlage zu stellen.

Um die stark steigenden Kosten für Strom, Lebensmittel, Heizung und Mobilität abzufedern, hat die Ampelkoalition ein umfassendes Entlastungspaket auf den Weg gebracht. Neben einer auf drei Monate befristeten Absenkung der Energiesteuer auf Kraftstoffe und einer Energiepreispauschale gibt es vom 1. Juni 2022 an für drei Monate ein stark vergünstigtes ÖPNV-Ticket: das 9-Euro-Ticket.

Drei Monate in ganz Deutschland nutzbar

Mit ihm können alle Bürgerinnen und Bürger für den Zeitraum von Juni bis August 2022 für ein Entgelt von 9 Euro pro Kalendermonat in ganz Deutschland Busse und Bahnen im Nah- und Regionalverkehr nutzen, ohne zusätzlichen Aufwand, über alle üblichen Tarif- und Verbundgrenzen hinweg – ein Ticket für alles. Ausgenommen sind dabei lediglich der Fernverkehr der Deutschen Bahn, also ICE, IC, EC, sowie die Flixbusse und -züge.

Die Umsetzung des 9-Euro-Tickets, etwa der Vertrieb der Fahrkarten, liegt in der Zuständigkeit der Bundesländer, das soll auch über die Vertriebssysteme der Deutschen Bahn zu kaufen sein. Gesetzlich festgelegt ist zudem, dass auch Kunden bestehender Monats- oder Jahresabonnements von der Entlastungsmaßnahme in vollem Umfang profitieren; die Regelungen zur Erstattung oder Verrechnung werden dazu vor Ort festgelegt.

Es ist auch eine Einladung für die, die Bus und Bahn für Arbeitsweg, Urlaub oder Besuch bei Freund*innen jetzt mal neu ausprobieren.

ÖPNV erfahren

Mit dem 9-Euro-Ticket gehen Bund und Länder gemeinsam neue Wege: Neben der finanziellen Entlastung soll es für Bürgerinnen und Bürgern möglichst leicht werden, das eigene Auto stehen zu lassen und die Angebote und Leistungskraft des ÖPNV auszutesten.

Manch eine oder einer wird feststellen: Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln lassen sich viele Ziele gut erreichen, ohne Parkplatzsuche, ohne Parkticket und ohne Tanken. Entspannt unterwegs sein und die Stadt oder Landschaft mit anderen Augen zu entdecken – das kann ein ganz persönlicher Gewinn sein.

ÖPNV verbessern

Doch es ist nicht angemessen, die Welt der Busse und Bahnen in leuchtenden Farben zu malen. Tatsächlich hat Deutschland den öffentlichen Nahverkehr über Jahrzehnte vernachlässigt, Bus- und Bahnverbindungen ausgedünnt, Bahnhöfe und Haltestellen oftmals verkommen lassen. Von einheitlichen Qualitätsstandards im ganzen Land und einem flächendeckenden ÖPNV-Netz sind wir meilenweit entfernt.

Wer regelmäßig mit dem ÖPNV unterwegs ist, ist auf verspätete Busse und Bahnen und schmuddelige Stationen eingestellt. Und auch das Rätselraten vor dem Fahrkartenautomat, welches Ticket nun das richtige ist, ist quasi deutsche Normalität. Das alles schadet bis heute dem Image des ÖPNV massiv. Kaum verwunderlich, dass in Umfragen eine große Mehrheit das Auto als Verkehrsmittel nennt, das Bedürfnisse erfüllt, während gerade einmal 12 Prozent Bus, S-Bahn und Straßenbahn als ideales Verkehrsmittel betrachten.

Mit dem 9-Euro-Ticket leitet der Bund eine Wende in der ÖPNV-Politik ein. Nach vielen Jahren, in denen Bundesregierungen fast immer nur Autobosse getroffen haben und das Auto trotz aller Umweltskandale immer politischen Vorrang hatte, richtet sich nun erstmals der Fokus auf die Frage: Wie erleben die Bürgerinnen und Bürger den ÖPNV - nicht nur bei sich vor Ort, sondern auch in entfernteren Regionen?

Mit dem 9-Euro-Tickt ist die Erwartung verbunden, nicht nur kurzfristig mit einem Schnäppchen-Ticket die Menschen in Busse und Bahnen einzuladen, sondern längerfristig das Thema ÖPNV politisch in die Mitte zu rücken.

ÖPNV-Pakt zwischen Bund und Ländern

Wer den ÖPNV in Deutschland stärken will, muss tatsächlich viele Themen anpacken – nur dann entsteht ein hochwertiges Gesamtsystem. Die Ampelkoalition hat deswegen im Koalitionsvertrag verabredet, den Nahverkehr gemeinsam mit Ländern und Kommunen unter die Lupe zu nehmen. Nach Jahrzehnten, in denen der öffentliche Nahverkehr eher ein politisches Nischenthema in der Verkehrspolitik des Bundes war, wollen wir Grüne zusammen mit SPD und FDP den Hebel umlegen und das Bus- und Bahn-Angebot in ganz Deutschland ausbauen und modernisieren.

Die Bund-Länder-Gespräche, die sich unter anderem mit den komplizierten Verwaltungsstrukturen und der künftigen Finanzierung von Bus- und Bahnverkehr befassen, sind angelaufen. Sie sollen 2023 in einen ÖPNV-Pakt münden. Erklärtes Ziel der Koalition ist es, die Fahrgastzahlen bis 2030 deutlich zu steigern.

Klimafreundlich unterwegs

Wer ein Auto hat, hat den ÖPNV nicht nötig - ein hartnäckiges Vorurteil bei einigen. Der ÖPNV als Verkehrsmittel für diejenigen, die sich kein Auto leisten können oder als Schüler*innen ohnehin auf den Bus angewiesen sind.

In Wahrheit sind Bus und Bahn ein zentraler Baustein nachhaltiger Mobilität, auf den wir setzen müssen, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Bus und Bahn sind vielfach effizienter als der Pkw-Verkehr, nirgends sind wir weiter bei der Elektromobilität auf Basis grüner Energien als bei Zügen und Straßenbahnen. Nur mit einem guten Bus- und Bahnsystem werden wir die noch immer immense Abhängigkeit von fossilen Energieimporten verringern.

Den öffentlichen Verkehr zu stärken ist daher nicht nur Gebot der Stunde, um die Ölimporte aus Russland auf null zu reduzieren, sondern vor allem im Hinblick auf den Klimaschutz eine der zentralen verkehrspolitischen Aufgaben.

ÖPNV in Stadt und Land

Weltweit setzen viele Städte und Metropolregionen auf den Ausbau des ÖPNV, um den Autoverkehr zu verringern und mehr Platz für Fuß- und Radverkehr zu schaffen. Gerade angesichts zunehmender Hitzesommer wird es nötig, Autos aus den Straßen herauszunehmen und gezielt mehr Bäume und Grünflächen anzulegen. Hinzukommt, dass der Autoverkehr in Großstädten die öffentliche Hand etwa dreimal so viel kostet wie Bus und Bahn.

Auch die Anbindung ländlicher Räume muss stark verbessert werden. Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam das ÖPNV-Angebot in Deutschland neu aufstellen. Das 9-Euro-Ticket ist in dieser Hinsicht die Initialzündung, um die Verkehrswende voranzubringen. 

In der Fachwelt wird seit einigen Jahren über die Einführung von Mindestbedienstandards diskutiert, die sicherstellen, dass Ortschaften ab einer bestimmten Größe regelmäßig mit öffentlichen Verkehrsmitteln angefahren werden und auf diese Weise ein flächendeckendes Netz und sichere Anschlüsse entstehen. Die Schweiz hat solche Standards rechtlich festgeschrieben und orientiert an ihnen den weiteren Ausbau von Bus- und Bahnverkehren. On-Demand-Angebote, perspektivisch auch autonom fahrend, können dieses Grundangebot in Randzeiten ergänzen.

Ein Nulltarif führt aufs falsche Gleis

Das dreimonatige 9-Euro-Ticket ist in erster Linie eine Maßnahme zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürgern von stark angestiegenen Kosten. Als Dauereinrichtung ist es genauso wenig finanzierbar wie die Einführung eines Nulltarifs (mitunter auch fälschlich „kostenloser ÖPNV“ genannt), der immer wieder gerne in die Diskussion gebracht wird. Denn jede tarifpolitische Maßnahme droht jene Mittel auffressen, die für den Ausbau und die Modernisierung von Infrastruktur und Angebot benötigt werden.

Umfragen zeigen, dass Vielnutzer*innen des ÖPNV gar nicht zu hohe Ticketpreise kritisieren, sondern mangelnde Zuverlässigkeit und ausbleibende Investitionen in moderne Fahrzeuge und Haltestellen. Priorität muss haben, dass Busse und Bahnen zuverlässig fahren, Anschlüsse funktionieren, die Fahrt mit dem ÖPNV Komfort und Sicherheit bietet.

Ein Ticket, mit dem landesweit ÖPNV-Angebote genutzt werden können wie etwa das Klima-Ticket in Österreich, ist aber auf jeden Fall eine spannende Perspektive und sollte gemeinsames politisches Ziel von Bund und Ländern bleiben.

Sichere Finanzierung des ÖPNV

Seit der Bahnreform 1994/96 liegt die Zuständigkeit für den Schienenpersonennahverkehr bei den Bundesländern. Das Grundgesetz sieht vor, dass der Bund den Ländern dafür Mittel aus dem allgemeinen Steueraufkommen überlässt. Die sogenannten Regionalisierungsmittel betragen aktuell etwa 10 Milliarden Euro pro Jahr, seit der Corona-Pandemie ergänzt um Ausgleichszahlungen für ausbleibende Fahrgeldeinnahmen, um das Angebot stabil zu halten.

Soll das ÖPNV-Angebot wachsen, werden die Ausgaben für den ÖPNV insgesamt steigen müssen, und zwar erheblich. Mehrausgaben etwa über höhere Fahrkartenpreise zu finanzieren, wäre sicher der falsche Weg. Dazu muss man wissen: Der Anstieg der Fahrpreise war zwischen den Jahren 2000 und 2018 um mehr als das Doppelte höher als der Preisanstieg für den Kauf und die Unterhaltung eines Pkw. In der Tendenz hat also die Nutzerfinanzierung ihren Anteil an der Deckung der Gesamtkosten ausgeweitet. Höhere Ticketpreise würden weder mehr Menschen für Bus und Bahn gewinnen noch den Trend zum Autofahren stoppen, es vielmehr geboten, die Ticketpreise im ÖPNV möglichst stabil zu halten.

Worauf es in den nächsten Jahren ankommt, ist eine sichere und auskömmliche Finanzierung der Betriebskosten. Hier gilt wie überall, die Wirtschaftlichkeit im Blick zu behalten und genau zu schauen, wo ein dichterer Takt, neue Buslinien oder ein neue Tramstrecke am ehesten mehr Fahrgäste anziehen.

Es geht auch ohne teurere Tickets

Doch letztlich ist klar: Mehr Bus und Bahn kostet Geld. Bund, Länder und Kommunen stehen vor der Frage, was ihnen ein gutes ÖPNV-System und Klimaschutz im Verkehr finanziell wert sind. Noch immer finanziert der Bund ökologisch schädliche Subventionen wie eine unbegrenzte Entfernungspauschale oder die Anschaffung schwerer Dienstwagen, während die finanziellen Spielräume für den ÖPNV als eng bemessen gelten.

Neue Wege um die Betriebskosten des ÖPNV und eine massive Ausweitung des Angebots zu finanzieren, sehen wir unter anderem in Wien. Neben Fahrgeldeinnahmen und öffentlichen Zuwendungen setzt die Hauptstadt Österreichs auf eine umfassende Parkraumbewirtschaftung als dritte Finanzierungssäule. Andere zusätzliche Finanzierungsquellen könnten in einer allgemeinen kommunalen ÖPNV-Abgabe bestehen. Doch nicht nur der Bund, sondern auch Länder und Kommunen müssen ihren Beitrag ausweiten.

Rede Stefan Gelbhaar

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