Stakeholderdialog

Digitalisierung und Nachhaltigkeit

Digital Wind Turbine Hologram
Mit der Digitalisierung wollen wir den Klimaschutz und gute Lösungen für unsere Gesellschaft voran bringen. Diese Potentiale müssen effizient genutzt und die Digitalisierung im Sinne des Klima- und Umweltschutzes gestaltet werden. picture alliance / Zoonar | Alexander Limbach
06.12.2022
  • Die Digitalisierung muss im Sinne der Nachhaltigkeit aktiv gestaltet werden. Was wir dafür tun können, diskutieren wir im Stakeholder Dialog „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“.
  • Die Potentiale der Digitalisierung wollen wir aktiv für Klima- und Umweltschutz fördern und ihren Ressourcenverbrauch und ihre CO2-Emmissionen reduzieren.
  • In thematischen Schwerpunkten befassen wir uns mit nachhaltigen Rechenzentren, der Kreislaufwirtschaft, KI und Daten, Standardisierung sowie internationaler Politik.

Die Digitalisierung spielt eine entscheidende Rolle bei der Modernisierung des Staates, der Entwicklung neuer Innovationen und in unserer vernetzten Gesellschaft. Bei ihrer Gestaltung müssen wir einen Fokus darauf legen, dass diese positiven Effekte genutzt werden können und uns nicht in Form von einem zu hohen Energieverbrauch für Rechenleistungen und nicht nachhaltiger Ressourcennutzung wieder einholen. Wir wollen die Digitalisierung aktiv für Ziele der Nachhaltigkeit einsetzen und mit ihrer Hilfe Ressourcen einsparen, das Ökosystem Erde besser verstehen und Kreislaufwirtschaft vorantreiben. In vielen Bereichen sehen wir aber auch Nachholbedarf, was den Schutz von Klima und Umwelt angeht, beispielsweise bei dem effizienten Betrieb von Rechenzentren, einem Recht auf Reparatur oder in der verstärkten Entwicklung von nachhaltiger Software. Die notwendigen Maßnahmen hierfür reichen von der kommunalen bis auf die europäische Ebene und darüber hinaus - es ist an der Zeit, sie gezielt anzugehen. Gemeinsam mit Expert*innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung tauschen wir uns regelmäßig zu konkreten Handlungsoptionen aus und identifizieren Hebel, mit denen wir die Digitalisierung nachhaltig gestalten können.

Die Leitung des Dialogs hat Maik Außendorf, Digitalpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. In thematischen Schwerpunkten begleiten die grünen Bundestagsabgeordneten Tabea Rößner,  Dr. Sandra Detzer, Dr. Anna Christmann, und Tobias Bacherle die Sitzungen.

Thema: Nachhaltige Rechenzentren

Am 22. November 2022 fand die Auftaktsitzung des Stakeholder Dialogs im Deutschen Bundestag mit Maik Außendorf und Tabea Rößner statt. Gemeinsam wurden folgende Fragen diskutiert:

  • Wo stehen die Rechenzentren in Deutschland heute in Bezug auf Klimaneutralität und generelle Nachhaltigkeit?
  • Welche Daten fehlen uns, um die Lage klar erfassen zu können?
  • Welche Schritte sind notwendig, um neue Rechenzentren ab 2027 klimaneutral zu betreiben?
  • Wo stehen die öffentlichen Rechenzentren bei der Einführung des EMAS Umweltmanagementsystems?
  • Was ist der Stand von Green Coding in Deutschland, welche Maßnahmen müssen getroffen werden, um dieses weiter zu verbreiten?
  • Welche Best Practices gibt es, von denen wir lernen können?

Aus der Diskussion nehmen wir folgende Ergebnisse mit

Klare Definition

Unter dem Begriff „Rechenzentren“ werden viele verschiedene Akteure gefasst, vom großen Co-Location und Hyperscaler Rechenzentren über Hochschulrechenzentren bis zu verteilten Edge-Rechenzentren. Das bedeutet, dass hinter einem Rechenzentrum ein großes Unternehmen im weltweiten Wettbewerb oder mittelständische Unternehmen, die öffentliche Verwaltung oder eine Hochschule stehen kann. Diese Unterschiede spielen auch für die Definition und Umsetzung von Vorgaben zur Nachhaltigkeit eine Rolle.

Vernetzung und Information

Für die nachhaltige Gestaltung eines Rechenzentrums müssen vielfältige Akteure zusammenarbeiten. Systemisches Denken aller Akteure ist gefragt und dafür bedarf es einer grundsätzlichen Sensibilisierung, Information und Vernetzung der beteiligten Akteure zu denen beispielsweise Kommunen, Energienetzbetreiber, Rechenzentrumsbetreiber und die Bevölkerung vor Ort gehören. Es wurde darauf hingewiesen, dass beispielsweise Hyperscaler bereits an ihrer Klimaneutralität arbeiten, während kleinen Rechenzentren die Ressourcen und das Umfeld fehlen, um diese Entwicklungen bei sich auf den Weg zu bringen. Auf Landes- und Bundesebene gibt es bereits erste Förderprojekte, um mehr Vernetzung und Informationsfluss zu ermöglichen.  

Zertifizierung von Rechenzentren 

Der Blaue Engel ist ein sehr guter Standard für den nachhaltigen Betrieb von Rechenzentren. Aktuell gibt es aber nur wenige Rechenzentren, die diesen Standard erfüllen und zur Nachhaltigkeit der weiteren Rechenzentren fehlen konkrete Zahlen und Vergleichsmöglichkeiten. Es wird empfohlen, die Verbreitung dieses Standards weiter voranzutreiben.

Transparenz herstellen

Es gibt aktuell keine einheitlichen Daten darüber, was der tatsächliche Energieverbrauch von Rechenzentren ist und somit sind die Rechenzentren auch nicht in Bezug auf ihren Energieverbrauch oder anderen Nachhaltigkeitskriterien vergleichbar. Dies wäre aber für eine passgenaue Regulierung sowie für einen marktwirtschaftlichen Wettbewerb notwendig. Darüber hinaus fehlen Informationen über den Einsatz klimaneutraler Kältemittel, die Nutzung von Abwärme, den Bezug von Strom aus Erneuerbaren Energien, Einblicke in Betriebsparameter wie Gebäudetechnik und Netzwerkinfrastruktur oder eine Ausrichtung der Hard- und Software auf Nachhaltigkeit. Einige Rechenzentren haben bereits das Umweltmanagement-Gütesiegel EMAS oder den Blauen Engel eingeführt, für den größten Teil der Rechenzentren gilt das aber nicht und entsprechend lückenhaft ist die Informationslage. Für mehr Transparenz, die Etablierung von Mindeststandards und einem regen Wettbewerb wird ein einheitliches und verpflichtendes Bewertungssystem in Form eines Registers oder Katasters empfohlen.

Strom für Rechenzentren

Bisher ist es nicht möglich, alle Rechenzentren vollständig mit Energie aus Erneuerbaren zu betreiben. Neben einem ambitionierten Ausbau der Erneuerbaren Energien wird empfohlen, beispielsweise Energiespeicherlösungen für Rechenzentren und das sogenannte Loadshifting (variable Rechenleistungen durchführen, wenn es gerade viel Strom gibt) in Betracht zu ziehen.

Abwärmenutzung von Rechenzentren

Damit die Abwärme eines Rechenzentrums genutzt werden kann, müssen vielfältige Akteure miteinander zusammenarbeiten. Eine gute Zusammenarbeit ist hier von zentraler Bedeutung, denn hier ist die Nachfrage aus dem lokalen Energieökosystem ebenso wichtig, wie das Angebot zur Abgabe von den Rechenzentren, beides könnte explizit gefördert und gefordert werden. Die Abwärmenutzung sollte von Beginn an mitgedacht werden, so ist es beispielsweise einfacher, Wärme aus einer Wasserkühlung als aus einer Luftkühlung weiterzuverwenden. Kommunale Wärmebedarfsplanung, sowie regionale Nah- und Fernwärmekonzepte können hier ein sinnvoller Beitrag sein.

Öffentliche Beschaffung

Die öffentliche Beschaffung kann ein wichtiger Hebel sein, um nachhaltige Hardware und Software voranzubringen. Entsprechende Kriterien geben der öffentlichen Hand die Möglichkeit, ihre Beschaffung auch nach dem Wert der Nachhaltigkeit auszurichten.

Gestaltung Europäischer Rahmen 

Viele Maßgaben für nachhaltige Rechenzentren werden auf der EU-Ebene verhandelt. In mehreren laufenden Digitalprojekten der EU wie dem Digital Service Act und dem Artificial Intelligence Act konnten Nachhaltigkeitsparameter bisher nicht verankert werden. Aktuell in Verhandlung befinden sich die Ökodesignrichtlinie, welche den Energieverbrauch von Produkten entlang ihres gesamten Lebenszyklus senken soll.

Regulative Hemmnisse abbauen

Es wird empfohlen, gesetzliche Vorgaben, die einem nachhaltigen Betrieb von Rechenzentren entgegenstehen, abzubauen. Exemplarisch genannt wurde hierfür die Netzentgeldbefreiung, die einen Anreiz schafft, weiter Strom zu verbrauchen, obwohl kein aktueller Bedarf besteht.

Politische Steuerung

Die Digitalisierung muss politisch gestaltet werden, der aktuelle Trend zeigt, dass sie ohne Steuerung nicht auf Ziele der Nachhaltigkeit ausgerichtet wird. Vorschläge dazu sind beispielsweise von dem Top-Runner-System in Japan zu lernen, das nicht mit Mindeststandards arbeitet, sondern in dem sich nur die umweltverträglichsten Technologien am Markt etablieren können. Auch die Definition von Klimaneutralität spielt eine Rolle, es wurde empfohlen, mit einem Fossil-Free-Ansatz auch internationale Lieferketten und die Auswirkungen von Entscheidungen in Deutschland auf den globalen Süden in den Blick zu nehmen.

Zielkonflikte anschauen

Die nachhaltige Gestaltung von Rechenzentren eröffnet den Blick auf Zielkonflikte, die in der Debatte Eingang gefunden haben. Dazu gehören beispielsweise die Spannungsfelder zwischen Umweltauflagen in Deutschland und einem internationalen Wettbewerb um Rechenzentrumsstandorte; zwischen einer sicheren und resilienten Infrastruktur, die auf Redundanz, also einer doppelten Struktur aufbaut, die dann aber auch den doppelten Energieverbrauch kostet; zwischen sinnvollen Auflagen und der Stärkung des deutschen Mittelstands, der zur Erfüllung weniger Ressourcen zur Verfügung hat als große Akteure; zwischen Auflagen in Deutschland und einem „Abwandern in die Cloud“, der Gefahr des sogenannten Carbon Leakage, bei dem Unternehmen ihre Dienste in andere Länder mit weniger strengen CO2-Auflagen verlegen; zwischen dem Anspruch die Digitalisierung zum Wohle der Gesellschaft voranzutreiben und dem steigenden Ressourcenverbrauch durch die Digitalisierung und die damit einhergehende Bedrohung des Planeten.

Thema: Der digitale Produktpass und Kreislaufwirtschaft

Am 5. Dezember 2022 fand die 2. Sitzung des Stakeholderdialogs im Deutschen Bundestag mit Maik Außendorf, Sandra Detzer und Tabea Rößner statt. Gemeinsam wurden folgende Fragen diskutiert:

  • Wie soll der digitale Produktpass aussehen und welche Kriterien muss dieser erfüllen? Welche Aspekte sind aus Sicht der Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bei der Umsetzung des digitalen Produktpasses zu beachten?
  • Welche Kreislaufwirtschaftsaspekte sollen im vierten Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission in Bezug auf die Ökodesign-Richtlinie beinhaltet sein?
  • Welche weiteren Prozesse sind im Bereich Digitalisierung der Kreislaufwirtschaft für wichtig und welchen Handlungsbedarf gibt es?
  • Welche Best Practices gibt es bei der Digitalisierung der Kreislaufwirtschaft?

Aus der Diskussion nehmen wir folgende Ergebnisse mit:

Den digitalen Produktpass (DPP) werteorientiert auf die Kreislaufwirtschaft ausrichten

Das Ziel eines digitalen Produktpasses (DPP) sollte es sein, Informationen über Produkte entlang ihrer Produktion verfügbar zu machen und diese wertegeleitet für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft einzusetzen. Ressourcen müssen effizient genutzt werden, es braucht gute Lieferketten, Transparenz für Unternehmen und Verbraucher*innen sowie Informationen zum Umgang mit und der Reparatur von Geräten. Damit der DPP die Produkte tatsächlich nachhaltiger macht, muss er auf dieses Ziel hin aktiv gestaltet werden. Derzeit ist die nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie in Arbeit. Sie soll alle Wirtschaftsprozesse auf Kreislaufwirtschaft und CO2-Einsparung ausrichten. Die Anforderungen der verschiedenen Branchen an ein DPP sollten von Beginn an in die Konzeption einfließen. Ziel muss es langfristig sein, den Grundgedanken der Kreislaufwirtschaft in die Breite der Gesellschaft zu tragen, und zu erreichen, dass industrielle Prozesse auf diese Kreislaufführung eingestellt werden. Unternehmen, die aktuell schon Aspekte einer Kreislaufwirtschaft in ihre industriellen Prozesse integriert haben, können als Best Practices dienen.

Den digitalen Produktpass regulatorisch breit verankern

Die Umsetzung des DPP ist auch abhängig von z.B. nationalen Gesetzen zum Datenschutz, dem Kartellrecht, dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen wie auch dem Lieferkettensorgfaltsgesetz. Auch viele Verordnungen, die aktuell in der EU verhandelt werden, nehmen auf den DPP Bezug (z.B. den EU Data Act), das muss bei der Umsetzung eines DPP ebenso mitgedacht werden.

Einen Mehrwert für Unternehmen schaffen

Die Akzeptanz der Industrie für einen digitalen Produktpass ist ein wichtiger Aspekt für eine effiziente Umsetzung. Datensicherheit und Datenschutz sind zu beachten. Nicht alle im DPP hinterlegten Informationen dürfen für alle zugängig sein. Betriebsgeheimnisse (z.B. technische Grundlagen eines Produktes) oder firmeninterne Daten über die Herstellung bestimmter Technologien müssen weiterhin einem hohen Schutz unterliegen. Zugang zu sensiblen Daten könnte in Abstufung beispielsweise nur den Aufsichtsbehörden oder anderen autorisierten Personen gewährt werden. Eine dezentrale Speicherung der Daten ist ein zusätzliches Mittel um die Datensicherheit zu erhöhen. Idealerweise sollten Parallelprozesse verhindert werden, vor allem in Bezug auf die nutzer*innenfreundliche und ressourcenschonende Überlieferung der Informationen des DPP. Diesbezüglich wurde darauf verwiesen, dass im industriellen Kontext bei einem digital zugänglichen Produktpass die gleichen Informationen nicht auch in Papierform veröffentlicht werden müssten, was effizienter wie auch ressourcenschonend sein könnte.

Augestaltung für Verbraucher*innen

Der DPP wird zum aktuellen Zeitpunkt vorrangig in einem industriellen Kontext entwickelt. Der Mehrwert für Verbraucher*innen sollte integriert werden. Dazu gehört, dass der DPP für Endkonsument*innen einfach und übersichtlich nutzbar ist. Sinnvolle Informationen über den Lebenszyklus,  zur Nutzung und Reparatur des Produkts müssen abrufbar sein. Verbraucher*innen können so nachhaltige Kaufentscheidungen treffen, die Produkte länger nutzen und korrekt recyceln. Die Informationen sollten jedoch auch für Verbraucher*innen ohne Smartphone verfügbar sein.

Daten effizient und qualitativ hochwertig erheben

Eine Kreislaufwirtschaft benötigt, anders als eine lineare Wirtschaft, sehr viele Daten über den Lebenszyklus eines Produktes. Hinzu kommt, dass der DPP idealerweise die komplette Lieferkette eines Produktes darstellen soll. Wichtig ist, dass eine hohe Datenqualität auch bei Produktionsschritten in anderen Ländern gewährleistet wird. Die Erhebung dieser Daten muss für Unternehmen schnell und effizient möglich sein, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU). Für den DPP sollten nur so viele Daten erhoben werden, wie für eine hohe Funktionalität auch notwendig sind. Die Daten sollten nach einem standardisierten Muster erfasst werden, um die Handhabung und die maschinelle Verarbeitung zu erleichtern und den Speicherbedarf zu minimieren.

Branchenspezifisch und interoperabel erarbeiten

Digitale Produktpässe sollten untereinander funktionabel und vergleichbar sein. Hierfür sind einheitliche Standards und Normen auf internationaler Ebene notwendig. Auf Grund der einzelnen Branchenlogiken und jeweiligen Anforderungen muss die Umsetzung sektorspezifisch erfolgen. Der Informationsbedarf für verschiedene Akteure muss daher ermittelt und integriert werden. Das digitale System des DPP muss zudem in der Lage sein technologische Entwicklungen mitzugehen und gleichzeitig auch ältere Daten verwerten zu können.

Umsetzung aktiv vorantreiben

Der DPP ist noch nicht breit verfügbar und in seiner Gestaltung gibt es weiterhin viele offene Fragen. In Forschungsprojekten und Gesprächen mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft werden aktuell Potentiale von und Anforderungen an den Produktpass diskutiert. Bisher gibt es einen Schwerpunkt in den Branchen der Bauwirtschaft und der Textil- und Automobilindustrie. Die Umsetzung wird nun im Rahmen des deutschen Lieferkettensorgfaltsgesetzes und der europäischen Batterieverordnung vorangetrieben. Zukünftig könnte der DPP im wachsenden Feld des Internet of Things wichtig werden. Es wurde empfohlen, mit der Einführung auch Anreize für die Nutzung des DPP zu schaffen, damit dieser schnell eine breite Anwendung findet.

Thema: Standardisierung und Normen

Am 24. Januar fand der dritte Stakeholder-Dialog aus der Reihe Digitalisierung & Nachhaltigkeit unter der Leitung von Maik Außendorf, Digitalpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen statt. Gemeinsam wurden folgende Fragen diskutiert:

  • Welche Rolle spielen Standards und Zertifizierung bei der nachhaltigen Digitalisierung?
  • Welche Standards und Zertifizierungen existieren schon, welche müssen noch folgen?
  • Welche Regeln und Nachhaltigkeitskriterien für grüne IT müssen in Deutschland und auf europäischer Ebene gelten?

Aus der Diskussion nehmen wir folgende Ergebnisse mit:

Status quo als Herausforderung

Grundsätzliche Herausforderung im Bereich der Standardisierung und Normierung ist der auf Selbstverpflichtung ausgerichtete gesetzliche Rahmen. Es bedarf einer ganzheitlichen Grundlage, die Rechtssicherheit und gleichberechtigte technische Anforderungen für alle voraussetzt. Aus diesem Grund wird vor allem auf EU-Ebene zurzeit intensiv daran gearbeitet, Regulierungen und Standards auf den Weg zu bringen: Diese sollen Grundanforderungen an Qualität und Sicherheit digitaler Produkte und Dienstleistungen definieren und eine bessere Vergleichbarkeit ermöglichen.

Hier muss aus parlamentarischer Sicht aktiv auf den Prozess Einfluss genommen werden, um Nachhaltigkeitsziele einzubeziehen und umzusetzen. Auch eine Prüfung durch unabhängige Dritte sollte dabei mitgedacht werden. Denn diese sichert die Konformität, stärkt das Vertrauen (bspw. durch die Vorbeugung von Greenwashing) und entlastet die Verwaltung. Zugleich würde damit der Grundstein für eine nachhaltige Digitalisierung „Made in Europe“ gelegt.

Nachhaltigkeit und digitale Standards

Bei Nachhaltigkeitsanforderungen digitaler Standards ist der politische Hebel groß. So gibt es im Bereich des nachhaltigen Programmierens gute Ansätze wie zum Beispiel das Siegel „Blauer Engel“. Es gibt jedoch keinen Leitfaden, der Nachhaltigkeitsstandards für den Entwicklungsprozess von Software vereinheitlicht. Klar definierte Nachhaltigkeitskriterien könnten hierzu beitragen. Diese lassen sich in folgende Themengebiete gliedern:

  • Im Energieverbrauch existieren keine rechtlichen Anforderungen an die Energieeffizienz von Software. Dabei hat diese einen großen Einfluss auf den Energieverbrauch.
  • Selbiges gilt für die Treibhausgasemissionen. Hier könnten Tools, die aktuell die benötigten Kapazitäten eines Codes in Bezug auf Rechenzeit kalkulieren, bspw. durch abgeleitete Berechnung von CO2-Fußabdrücken, weiterentwickelt werden.
  • Im Bereich Ressourcenverbrauch geht es darum, Digitalisierung nachhaltig zu gestalten. Hierzu könnte B. die Entwicklung einer Metrik beitragen, um den Ressourcen- und Energieverbrauch künstlicher Intelligenz aufzuzeigen. Der nächste Schritt betrifft dessen Optimierung: So lassen sich durch eine ganzheitliche Messung der Leistung und ökologischen Effizienz digitaler Lösungen Defizite, aber auch Potenziale ermitteln.
  • Abschließend sollte die nachhaltige Anwendung als ein weiteres Themengebiet in die Betrachtung eingehen. Davon umfasst ist die Optimierung von Produktions-, Geschäfts- und Verwaltungsprozessen. Denn die Digitalisierung in der ökologischen Transformation soll nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine Chance darstellen. Politisch relevant ist neben der ökologischen Nachhaltigkeit auch die soziale und ökonomische Nachhaltigkeit: Wir wollen Standards zu sozialen Kriterien sowie das Thema digitaler Menschenrechte zum Gegenstand der aktuellen Debatte machen.

Positionierung im internationalen Wettbewerb

Für die Ausrichtung im internationalen Wettbewerb bedarf es einer klaren Strategie. Es stellt sich die Frage, wo wir im internationalen Vergleich beim Thema Nachhaltigkeit stehen. In Bezug auf das Nachhaltigkeitsbewusstsein nehmen wir eine Vorreiterrolle ein. Dies stellt ein Qualitätsmerkmal digitaler Lösungen dar. Gerade aber bei den Themen künstliche Intelligenz und der Standardisierung und Normierung von Informationstechnologie treten aber auch andere staatliche Akteure, wie z. B. China und die USA, ins Rampenlicht.

Hier ist es wichtig, auf deutscher und europäischer Ebene diesen Wandel frühzeitig mitzugestalten. Denn: Eine gute Normierung und Regulierung auf europäischer und internationaler Ebene ist für den freien und fairen Warenverkehr wichtig. Bestimmte Standards bestehen hier schon (z.B. blauer Engel, EMAS, PEF, ISO/IEC TS 5471 AI). Diese sollten wir überarbeiten und um europäische und internationale Standards ergänzen.

Besetzung der Normungsgremien

Normungsgremien mit Vertreter*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft müssen ausgeglichen besetzt sein, um vor allem ökologische und soziale Nachhaltigkeitsstandards in die Normung mit einfließen zu lassen. Aktuell findet die Zusammensetzung der Normungsgremien nicht demokratisch statt. Überwiegend werden diese von Unternehmen, vor allem von großen Industrieunternehmen entsprechend ihren Ressourcen, besetzt. Gemeinsam mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft muss die Teilnahme dieser Akteure in den relevanten Normungsgremien gefördert werden.

Technische Normen, aber auch gesellschaftliche und Menschrechtsstandards sollten von einer interdisziplinären Gruppe entwickelt werden – der Prozess darf nicht allein der Industrie überlassen sein. Verpflichtende Vorgaben für eine ausgewogene Besetzung könnten den demokratischen Leitgedanken der Normgebung stärken. Denn Normen sind schließlich eine wichtige Grundlage für die Gesetzgebung und entfalten dadurch eine Wirkung für die gesamte Gesellschaft. Anders formuliert - es ist sinnvoll, „Standards für die Standardisierung“ zu entwickeln.

Bei der Entwicklung von Normen ist zudem zu bedenken, dass diese für die Unternehmen Kosten verursachen, da sie hierfür Expert*innen in Gremien schicken und die neuen Anforderungen auch umsetzen müssen. Wie hoch diese Kosten für die Unternehmen ausfallen, hängt von der Unternehmensgröße ab. Kleine und mittelständige Unternehmen sollten durch Förderprogramme unterstützt werden. Zudem ist bei der Gestaltung der Regulierung zu beachten, wie diese von allen Akteuren getragen werden können, ohne Wettbewerbschancen zu verschieben. Wir wollen die Frage der Normung deshalb aus horizontale Perspektive betrachten und angehen.

Öffentliche Bereitstellung digitaler Infrastruktur

Ein weiterer Gegenpol zu den (durch die Industrie) ungleich besetzten Normungsgremien stellt die Möglichkeit dar, digitale Infrastruktur, wie z.B. digitale Plattformen im Bildungs- und Gesundheitsbereich oder aber auch soziale Netzwerke, öffentlich bereitzustellen. Dies bedeutete geringere Kosten für die Privatwirtschaft und zugleich auch die Möglichkeit, Aspekte der Nachhaltigkeit zu fördern. Aktuell bewegen wir uns in einer digitalen Infrastruktur, die von privaten, oft im Ausland ansässigen, Firmen errichtet wurde: Eine zumindest in Teilen öffentliche Bereitstellung könnte bedeuten, dass der Staat zugunsten aller Beteiligten mehr Einflussmöglichkeiten hätte.

Deshalb sollte man über die Perspektiven nachdenken, sowohl private als auch öffentliche Initiativen zu fördern, die digitale Infrastruktur bereitstellen. Der Bundesrechnungshof sollte dieses Kriterium zudem in seinen Analysen berücksichtigen.

Standardisierung und Suffizienz

In den vergangenen Jahren war vor allem im Bereich der Digitalisierung eine zunehmende Effizienzsteigerung zu beobachten. Beispielhaft hierfür ist die global zunehmende Leistungsstärke und Schnelligkeit von Hardware, oder die regionale Einführung des Mobilfunkstandards 6G in Japan.

Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass sich dadurch Energie- und Ressourcenverbrauch nicht deckeln lassen. So wurde die zunehmende Effizienz von Hardware durch immer anspruchsvollere Software „aufgefressen“. In Japan hat die Einführung von 6G durch eine Steigerung der Nachfrage auch den Energieverbrauch befördert. Das Stichwort hierbei lautet „rebound effect“ (Bumerangeffekt). Die Debatte über Suffizienz muss in den Fokus der politischen Debatte gerückt werden. Denn immer mehr Wachstum und der alleinige Fokus auf Effizienzsteigerung bergen nur geringe Hoffnung für eine nachhaltige Transformation.

In diesem Zusammenhang rücken auch die Themen open data und Datensparsamkeit in den Blickpunkt.

Höhere Transparenz für die Endkonsument*innen

Dem Problem des rebound effects kann man auch noch auf eine andere Weise begegnen: über mehr Transparenz bei Clouds, Software und Rechenzentren. Den Endkonsument*innen z.B. ökologische Fußabdrücke aufzuzeigen, kann ein klares Bild des eigenen digitalen Verbrauchsverhaltens ermöglichen. Verbraucher*innen haben hier momentan keine einheitlichen und übersichtlichen Informationsmöglichkeiten. Denn selbst bestehende Lösungen wie der „Blaue Engel“ bei Software werden unzureichend umgesetzt.

Aber auch über offengelegte Klimadaten kann Missbrauch verhindert werden. Gleichzeitig setzt es die Industrie unter Druck: Sie müssen ihre Position im Markt in einem gesteigerten Wettbewerb sichern, indem sie nicht nur innovative, sondern auch nachhaltige Lösungen aufzeigen. Auch hier bedarf es der Prüfung durch unabhängige Dritte: Dadurch lässt sich das Vertrauen in veröffentlichte Daten sichern und die Risiken minimieren, dass sich Unternehmen zu Unrecht ein „grünes Image“ erschleichen. Zugleich lassen sich hierdurch die Aufsichtsbehörden entlasten.

Thema: Nachhaltigkeit in der Außenpolitik

Am 7. Februar 2023 fand der vierte Stakeholder-Dialog aus der Reihe Digitalisierung & Nachhaltigkeit unter der Leitung von Maik Außendorf, Digitalpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Tobias Bacherle, Mitglied in den Ausschüssen für Digitales und Äußeres, statt. Den Themenschwerpunkt bildete dieses Mal die Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Außenpolitik. Gemeinsam wurden folgende Fragen diskutiert:

  • Wo steht die internationale Zusammenarbeit aktuell bei diesem Thema?
  • Welche Hebel auf der internationalen Ebene gibt es für Digitalisierung und Nachhaltigkeit?
  • In welchen Gremien kann das Thema Digitalisierung und Nachhaltigkeit eingespeist werden? Wie können internationale Allianzen geformt werden?

Aus der Diskussion nehmen wir folgende Ergebnisse mit:

Werteorientierte Digitalpolitik

Deutschland und die Europäische Union müssen sich international für eine nachhaltige Digitalisierung einsetzen. Eine holistische internationale Digitalpolitik befasst sich neben Feldern wie dem Aufbau digitaler Infrastruktur im globalen Süden, der Besetzung internationaler Normungsgremien oder dem Schutz der Menschenrechte und der Demokratie im digitalen Raum auch mit einem auf Nachhaltigkeit gerichteten globalen digitalen Ökosystem.

Fakt ist, dass die Digitalisierung enorme CO2 Emissionen verursacht und Energie verbraucht und damit einen direkten Einfluss auf den Klimawandel hat. Zusätzlich zur ökonomischen und ökologischen Dimension von Nachhaltigkeit müssen darüber hinaus auch soziale und gesellschaftliche Komponenten Einzug finden in unsere internationale Digitalpolitik.

All diese Aspekte lassen sich unter dem Anliegen einer werteorientieren Digitalpolitik zusammenfassen, im Rahmen derer sich Europa und Deutschland zukunftsfähig nach außen hin aufstellt und sich gleichzeitig  von anderen Vorgehensweisen, wie der Chinas, abgrenzt. 

Multiperspektivische Ausgestaltung 

Um vernünftige Ansätze und Vorgehensweisen zu einer werteorientieren Digitalpolitik zu generieren ist es geboten, möglichst viele Akteure an dem Verhandlungs- und Ausarbeitungsprozess teilhaben zu lassen. Auf nationaler Ebene bedeutet dies zunächst die Einbindung aller relevanten Ministerien und des Parlamentes. Sowohl auf ministerieller wie auch parlamentarischer Ebene muss hierfür jedoch auch das Know-How entwickelt werden, um Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammenzudenken.

Die anstehende internationale Digitalstrategie der Bundesregierung muss eng mit dem Parlament abgestimmt werden. Da das Spannungsfeld von Digitalisierung und Nachhaltigkeit in der Außenpolitik auch eine geopolitische Komponente hat, gilt es zudem in enger Kooperation mit EU-Mitgliedsstaaten vorzugehen und die europäische digitale Souveränität als Bollwerk zwischen den digitalen Mächten China und USA zu wahren.

Auch auf internationaler Ebene ist die Einbindung der Zivilgesellschaft unabdingbar. Ansätze hierfür sind das Bildungsprojekt DIAL, das Projekt Fairwork zur Identifizierung fairer Arbeitsplätze in der Plattformökonomie oder auch Innovationshubs in Afrika, die in enger Kooperation mit der internationalen und lokalen Zivilgesellschaft arbeiten, das Global Innovation Gathering, ein Start-Up Accelerator oder auch das Datalab aus Brasilien, das sich für Datenhoheit der Einwohner*innen in Brasiliens Favelas einsetzt.

Abschließend geht es bei einer multiperspektivischen Gestaltung der internationalen Digitalpolitik auch um die Zusammenarbeit mit anderen Ländern auf Augenhöhe. Die Einbindung verschiedener Perspektiven darf daher nicht in der einseitigen Vorgabe von Handlungsoptionen münden, sondern bestenfalls einen Prozess des Austauschs mit gegenseitigem Erkenntnisgewinn anregen. Das Stichwort hier lautet Reziprozität. 

Transformative Netzwerke aufbauen

Aktuell findet Entwicklungszusammenarbeit häufig bilateral zwischen Regierungen statt. Tatsächlich entsteht digitale Transformation jedoch oft in kleineren Organisationen und auf der lokalen Ebene. Es bedarf daher des Aufbaus und der Unterstützung neuer Netzwerkstrukturen, um die Verbindung zwischen der Entwicklungszusammenarbeit auf Regierungsebene und dem Ort der tatsächlichen digitalen Transformation herzustellen.

So könnte das BMZ Netzwerk hilfreich sein, das nach diesem Prinzip die Zusammenarbeit zwischen Staat, NGOs und Zivilgesellschaft in Partnerländern ermöglicht. Weitere Möglichkeiten stellen die Coalition for Digital Environmental Sustainability (CODES) und der Global Digital Compact (GDC) dar, zwei globale Netzwerke, die sich über einen gestärkten Multilateralismus für einer beschleunigte Bewältigung künftiger Herausforderungen einsetzt. Speziell CODES stellt dabei den Versuch dar, den Link zwischen Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsprojekten herzustellen, der bei vielen Initiativen wie den SDGs und der Roadmap for Digital Cooperation noch fehlt.

Vorreiterrolle wahrnehmen

Deutschland und die Europäische Union sollten, ähnlich wie bei Umsetzung der DSGVO, als „Norm-Setter“ im Bereich der internationalen Digitalpolitik agieren. Aktuell wird zu wenig über nachhaltige Digitalisierung gesprochen, ein politisches Vakuum, das es zu füllen gilt. So könnten die dargestellten Projekte im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, die auf eine nachhaltige Digitalisierung zugeschnitten sind, eine Vorbildfunktion einnehmen, die den Weg in pluralistische und demokratische digitale Ökosysteme erlaubt.

Konkret könnte dies zu einer Positionierung führen, die für einen offenen Zugang zu Wissensressourcen und für digitale Souveränität wirbt. Auch im Bereich der ethischen KI könnte auf bestehende Ansätze der UNESCO KI Ethik, die einen spannenden Versuch der Konkretisierung abstrakter Vorstellungen vornimmt, zurückgegriffen werden, um sich in sehr konkreter Weise zukunftsfähig aufzustellen. Im Rahmen dieses Prozesses liegt es an Deutschland, inhaltlich, personell und monetär in der Gestaltung zu partizipieren und somit eigene politische Positionen einzubringen und durch Regularien, wie DSGVO und KVIO, positive Effekte auf internationaler Ebene zu ermöglichen.

Sinnbildlich hierfür ist, dass in den Sustainable Development Goals 2030 die digitale Transformation nicht ausreichend berücksichtigt wird. Diese Lücke kann durch ein aktives Eintreten für nachhaltige und werteorientierte Digitalpolitik auf internationaler Ebene durch Deutschland und die EU gefüllt werden.

Ökonomische Dimension der Digitalisierung 

Die ökonomische Dimension der Digitalisierung spielt nach wie vor eine entscheidende Rolle für die politische Arbeit (z. B. in der Handelspolitik, der Rohstoffstrategie, oder in der Erschaffung resilienter Lieferketten) und muss daher auch in einer internationalen Digitalpolitik berücksichtigt werden. Gleichzeitig nutzt vor allem China digitale Technologien als Hebel um die Präsenz im globalen Süden zu erweitern, oft zum langfristigen finanziellen Nachteil der Partnerländer.

Aus geopolitischer Sicht geht es hier um nicht weniger als den digitalen Wettlauf um die globale Vorherrschaft. Projekte mit sehr großen Investitionsvolumen, wie das chinesische Infrastrukturprojekt Belt and Road Initiative, werden maßgeblich über die zukünftige wirtschaftliche und geopolitische Vorherrschaft entscheiden. Hinzu kommen große privatwirtschaftliche Player, wie die amerikanischen Tech-Konzerne, die über ihre Marktmacht auf staatliche Prozesse und bei der Entwicklung von Regulierungen und Standards großen Einfluss nehmen.

Deutschland und die EU müssen hier als glaubwürdige Partner und Alternativen zu China oder amerikanischen Tech-Konzernen auftreten. Auch wenn die deutsche Entwicklungspolitik sehr gute Arbeit leistet, wurde diese Rolle gerade in Bezug auf digitalpolitische Themen in den letzten Jahren vernachlässigt. Das Zusammenspiel zwischen wirtschaftspolitischem, außenpolitischem und entwicklungspolitischem Agieren ist hier entscheidend: aktuell entsteht ein immer größer werdendes Spannungsfeld zwischen einerseits vertrauensvoller Kooperation und Augenhöhe mit unseren Partnerländern im Global Süden, bei der gemeinsam das Ziel verfolgt wird, allen das Recht auf eine schnelle und breite Digitalisierung zuzugestehen, und andererseits ein Wettkampf um geopolitischen Einfluss, der regulative Eingriffe und klare Strategien Deutschlands und der EU zur Risikobeschränkung braucht. 

Umgang mit Big Tech

Im vorherigen Punkt bereits angerissen spielt für die außenpolitische Dimension einer nachhaltigen Digitalisierung auch die Dominanz von Big Tech eine wichtige Rolle. Es bedarf einer klar abgesteckten deutsch-europäischen digitalen Souveränität in Abgrenzung zu Big Tech. Während dies in Ländern der EU aufgrund teilweise begrenzter Möglichkeiten gegen die Marktmacht der großen Tech Unternehmen bereits ein Problem darstellt, gilt es, kritisch die Abhängigkeiten von Ländern im Globalen Süden zu Big Tech zu prüfen und zu hinterfragen, wie langfristig die digitale Souveränität auf staatlicher Seite zu wahren ist.

Auch die Abhängigkeiten des individuellen Users müssen analysiert werden. Hier müssen Deutschland und die EU die individuelle Datensouveränität international anschlussfähig machen, z. B. durch eine Data Governance Allianz, welche das Individuum in den Mittelpunkt des digitalen Ökosystems stellt. Ein Beispiel für diese potenziellen Abhängigkeiten stellen Googles massive Investitionsprojekte in Afrika dar, wo speziell in afrikanische Start-Ups und KI große Summen fließen.

Über den daraus resultierenden Einfluss sollte frühzeitig aufgeklärt werden und über dessen Beschränkung nachgedacht werden. Gleichzeitig müssen jedoch alternative Finanzierungsmodelle entwickelt werden, um die lokale digitale Ökonomie zu unterstützen. Im Idealfall ist dieses Agieren jedoch nicht eine Frage der Finanzierung, sondern der Erschaffung alternativer Plattformen, die auf open source code basieren, die Datenhoheit dem Individuum geben, und die privatwirtschaftlichen Interessen in den Hintergrund stellen. Nur so kann langfristig die Dominanz von Big Tech aufgebrochen werden. 

Thema: Digitalisierung der Energiewende

Am 28. Februar 2023 fand der fünfte Stakeholder-Dialog aus der Reihe Digitalisierung & Nachhaltigkeit unter der Leitung von Maik Außendorf, Digitalpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen und Anna Christmann, Beauftragte der Bundesregierung für digitale Wirtschaft und Start-Ups im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, statt.

Themenschwerpunkt war dieses Mal die Digitalisierung der Energiewende. Gemeinsam wurden folgende Fragen diskutiert:

  • Wie weit ist Deutschland bei der Digitalisierung der Energiewende?
  • Worin bestehen die wesentlichen Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung der Energiewende?
  • Was sind die wichtigsten politischen Maßnahmen, um das Potential der Digitalisierung für die Energiewende auszuschöpfen?

Aus der Diskussion nehmen wir folgende Ergebnisse mit:

Smart Meter Rollout

Wenn man sich über die Gestaltung einer nachhaltigen Digitalisierung Gedanken macht, kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass dieses Vorhaben ohne eine transformative Energiewende hin zu Erneuerbaren Energien nicht möglich ist. Um diese Energiewende möglichst schnell und effizient zu vollbringen, hat die Bundesregierung im Januar 2023 den Entwurf des Gesetzes zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (GNDEW) vorgestellt.

Dieser sieht vor allen Dingen die Beschleunigung des Smart Meter Rollouts vor, da mithilfe dieses intelligenten digitalen Stromzählers der Strombezug flexibilisiert werden kann und Konsument*innen die Nutzungsdaten digital zur Verfügung stehen. Dieses Gesetz gilt es nun schnell zu beschließen, denn laut Bundesnetzagentur wurden Stand 2021 nur 133.000 intelligente Messsysteme in Deutschland verbaut.

Deutscher Sonderweg

Nun gilt es folglich zu entscheiden, wie der Smart Meter Rollout umgesetzt wird. Dabei ist vom grundsätzlichen Ansatz her zu beachten, dass Deutschland im Gegensatz zum Rest Europas einen netzgetriebenen Rollout anstelle eines vertriebsgetriebenen Rollouts gewählt hat. Diesen Weg gilt es weiterzugehen, seine Vorteile zu nutzen und die Nachteile als Herausforderungen anzugehen. So wird in Deutschland keine Cloud-to-Cloud Kommunikation wie in anderen EU-Mitgliedsstaaten praktiziert, sondern eine Gateway-Kommunikation über die Smart-Meter Infrastruktur gewählt. Grundsätzlich kommt es aufgrund der Vielzahl von Netzbetreiberstrukturen in Deutschland häufig zu Komplikationen bei der Digitalisierung der Energiewende. Eine mögliche Lösung könnte in einem stärker preisgesteuerten Ausgleich von Erzeugung und Last liegen. Zusätzlich gilt es, die Vorteile des netzgetrieben Rollouts hinsichtlich der Steuerungsmöglichkeiten zu nutzen.

Energieeffiziente Programmierung

Bei der Ausgestaltung der Smart Meter ist es zudem wichtig, eine energieeffiziente Implementierung anzustreben. Eine konkrete technische Herausforderung stellt in diesem Zusammenhang die Frage dar, wie oft Datenpunkte gesetzt werden. Theoretisch geht diese Datenerfassung bis zu alle 10 Sekunden. Hierzu muss entschieden werden, welche Voreinstellungen den Tradeoff zwischen einer intelligenten Datennutzung und dem Einsparen von Energie durch verringerte Datenströme am sinnvollsten ermöglichen.

In diesem Kontext lohnt es sich den Gedanken der Suffizienz zu beachten. Denn wenn eine Effizienzsteigerung von einer gesteigerten Nutzung oder Erfassung begleitet wird, die möglicherweise nicht nötig ist, und sich die Nachhaltigkeit dadurch unterm Strich sogar verschlechtert, sprechen wir von Rebound Effekten, die es zu vermeiden gilt.

Datenschutzbedenken berücksichtigen

Da auf Basis von Daten der Energieversorgung viele sensible Informationen gewonnen werden können, ist es wichtig, die Datensicherheit und den Datenschutz ins Zentrum der Überlegungen einer digitalen Energiewende zu rücken. Essenziell sind einheitliche Leitlinien und Vorgaben, die eindeutige Antworten auf Fragen des Datenschutzes geben, wie die obligatorische Zertifizierung von Smart Meter Anbietern durch das BSI. Trotzdem müssen Datensparsamkeit und Datennichterhebung weiterhin Bestandteil des gesetzlichen Diskurses sein, auch als Gegengewicht zu dem Wunsch nach immer mehr verfügbaren Daten, die die Energiebilanz hochtreiben.

Zusätzlich sollte man sich bewusst machen, dass Datennutzungsmodelle, die sensible Energienutzungsdaten zielgerichtet auswerten können, häufig in der Hand von Big Tech Unternehmen liegen. Weiterhin sollte sich die Frage der Genauigkeit der Datenerhebung gestellt werden. Es empfiehlt sich hier, über aggregierte Erhebungsgrößen nachzudenken. Trotz der großen Anfälligkeit von Smart Meter Daten ergeben sich gleichzeitig aber auch, wenn richtig genutzt, große Potenziale aus der generierten Datenmenge.

So konnte das Deutsche Rote Kreuz mithilfe dieser (anonymisierten) Daten den Hausnotruf in Teilen ersetzen und bei Unregelmäßigkeiten schnell reagieren. Weitere Potenziale bieten sich für Non-Profit-Organisation oder Forschungsinstitute, für die sich durch die Tiefe der Daten neue Möglichkeiten auftun würden. Allgemein sollte daher über eine intelligentere Datenkonzentration und -nutzung zu hohen Datenschutzstandards nachgedacht werden. Denn es gibt aktuell schon eine Vielzahl von Datensätzen, die man mithilfe von KI auswerten und möglicherweise zur Netzstabilisierung nutzen kann. Damit könnte eine Rückkopplung von Verbraucher*innen zu ihren Nutzungsverhalten hergestellt werden, welches bestenfalls über den eigenen Verbrauch sensibilisiert und zu Verhaltensanpassungen führt.

Smart Meter Hardware

Zusätzlich zur bereits thematisierten nachhaltigen Programmierung von Smart Metern gibt es einen weiteren Hebel, der zu einem energieeffizienten und nachhaltigen Rollout beitragen kann. Die Herstellung der Smart Meter Hardware bedarf Energie und der Implementierung wertvoller Rohstoffe. Den Einsparpotenzialen zunehmend digitaler Energieversorgungsmodelle stehen also Entstehungskosten des notwendigen Hardware Energie- und Ressourcenverbrauchs gegenüber.

Um hier Ressourcen zu schonen und in die Richtung einer Kreislaufwirtschaft zu gelangen, sollten Smart Meter möglichst lange verwendbar und recyclebar sein. Nach aktueller BSI Richtlinien muss jedoch die Hardware bereits bei kleinen Fehlern, Updates oder bei Änderungen der geographischen Implementierung bereits zerstört werden. Hier bedarf es eines Austausches über Vorgaben von Nachhaltigkeit und Ressourceneffizienz im Rahmen der Digitalisierung der Energiewende. Die Frage, wie rücksetzbare und recyclebare Hardware zukünftig unter Wahrung der Datensicherheit recycelt werden können, muss daher schnellstens geklärt werden.

Energie Communities

Eine weitere Möglichkeit, eine gesicherte und nachhaltige Energieversorgung zu gewährleisten, könnte in Bürger*innenmodellen liegen, die die Versorgung mit Energie nicht mehr über multinationale profitorientierte Unternehmen sicherstellen, sondern regional und nachhaltig produzieren und über langfristige Verträge eine sichere und preisstabile Energieversorgung gewährleisten.

Beispiele für Energiegenossenschaften lassen sich in Italien und Belgien finden, wo diese politisch unterstützt werden und damit grüne Energie zum Selbstkostenpreis ermöglichen. Ganz konkret kann die politische Unterstützung in einem stärkeren regulatorischen Fokus (Anreizregulierung und Fördermodelle), Entbürokratisierung des Bilanzausgleichssystems oder auch in finanzieller Unterstützung (z. B. Befreiung vom Netzentgelt) liegen. So wird in Italien ein Anreiz für jede kWh gezahlt, die in einer Energiecommunity erzeugt und verbraucht wird. Zusätzlich werden durch weniger Bürokratisierung Projektplanung und -umsetzung erleichtert.

Bürger*innen miteinbeziehen

Dank der Implementierung von Smart Metern ergeben sich ganz konkrete Möglichkeiten zu der Änderung von Verhaltensmustern der Endkonsument*innen beizutragen. Die alleinige Implementierung von Smart Metern zieht zunächst keine Veränderung der Energieversorgung nach sich, wenn die Bürger*innen hier nicht aktiv miteinbezogen werden. Für das Thema Energie- und Stromeinsparung muss auf gesellschaftlicher Ebene noch mehr sensibilisiert werden.

Durch die Implementierung von Smart Metern ergeben sich durch den einfachen Zugang der Konsument*innen zu ihrem monatlichen Energiekonsum und den dadurch anfallenden Kosten Möglichkeiten der Verbesserung in diesem Bereich. Einfach aufbereitete und digital zugängliche Daten können so die Lücke zwischen den erhobenen Daten und dem Verständnis der Endverbraucher*innen und der damit verbundenen Anwendung reduzieren. Da menschliches Verhalten nur bis zu einem bestimmten Punkt vorhersehbar ist, gilt es, alle Potenziale der Automatisierung zu nutzen, die durch die Implementierung intelligenter Messsysteme entstehen können.

So kann mit Smart Metern beispielsweise ein E-Auto automatisch zu den effizientesten und kostengünstigsten Zeitpunkten über einen vordefinierten Zeitraum aufgeladen werden, und wenn möglich, auch nur bis einer bestimmten Menge (z.B. 70 Prozent vs 100 Prozent geladen). Die Aspekte, bei denen menschliche Entscheidungen durch automatisierte Prozesse effizienter und nachhaltiger ersetzt werden können, sollten als Chance begriffen und genutzt werden. All dies gilt es, in der Gesetzgebung und in der Planung des Smart Meter Rollouts mitzudenken, um die Energiewende und die Digitalisierung ganzheitlich miteinander zu verknüpfen.

Um die Potenziale heben zu können, ist eine offene, möglichst standardisierte und frei zugängliche Programmierschnittstelle (API) eine notwendige Voraussetzung. Somit können Forschende,  Software-Entwickler*innen oder Start-Ups Apps und Geschäftsmodelle für die Smart-Meter Anbindung entwickeln.